Nur nicht vorhandene Daten sind gute Daten

Wie schützt man seine Daten am besten? Indem man sie gar nicht erst erzeugt. Nur nicht vorhandene Daten sind sichere Daten, meint der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und veranstaltet am Samstag, 31. Mai 2008, in 30 deutschen Städten einen Aktionstag gegen die ausufernde Überwachung durch Wirtschaft und Staat. Motto: »Freiheit statt Angst«. Der Clou: Die Verteilung von kostenlosen »pseudonymen« SIM-Karten.

»Der aktuelle Telekom-Skandal zeigt wieder einmal, dass nur nicht vorhandene Daten sichere Daten sind«, sagt Uwe Schulze vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der sich gegen das Gesetz zur umfassenden Speicherung von Verbindungsdaten wendet. »Vor dem Hintergrund dieses Skandals empfehlen wir, nur noch mit Handykarten zu telefonieren, die auf Fantasienamen und -anschriften registriert sind.« SIM-Karten, die nur auf Fantasienamen registriert sind – gibt es sowas überhaupt? Durchaus. Und zwar bei den Demos, die der AK Vorratsdatenspeicherung am Samstag, 31. Mai 2008, in 30 deutschen Städten veranstaltet.

Privater leben mit der

pseudo-registrierten

Sim-Karte.

 

Kein Zweifel: Staat, Geheimdienste und Unternehmen basteln eifrig an der Stasi 2.0. Während Staat, Dienste und Polizei immer mehr Daten ausspähen wollen, haben auch Großkonzerne ein Interesse an den privaten Tätigkeiten der Bürger. Für sie sind die Milliarden Aufzeichnungen über ihre Kunden nicht etwa ein toter Datenwust, der in irgendwelchen Rechnern schlummert, sondern echtes Aktiv-Kapital. Ein Netz, in dem sich Mitarbeiter ebenso verfangen wie Kunden. Berichten zufolge hat die Telekom Telefon-Verbindungsdaten eigener Manager und Aufsichtsräte analysieren lassen, um unerwünschten Kontakten zu Journalisten auf die Spur zu kommen.

Elektronik ist so billig wie nie und Schnüffeln daher so einfach wie noch nie – egal, ob mit Hilfe von gespeicherten Kundendaten, wie bei der Telekom, oder indem man den eigenen Laden mit Kameras spickt, wie etwa das Delikatessengeschäft Lidl. Oder Saturn: Kürzlich bekam ich einen Schreck, als ich feststellen musste, dass der Elektronik-Riese weiß, wo ich mal gewohnt habe. Wozu eigentlich? Auf die Frage des Mitarbeiters nach meinen neuen Daten diktierte ich ihm eine andere alte Adresse. Davon hab‘ ich schließlich genug. Für jeden ist was da.

Und da merkte ich: Es macht wirklich Spaß, den Datenbestand der Datenkraken in Datenmatsch zu verwandeln. Denn Saturn ist schließlich auch Media Markt. Und Media Markt ist Metro. Und Metro ist auch Real und Kaufhof. Ob diese Unternehmen Daten austauschen, weiß ich nicht, aber blindes Vertrauen ist hier fehl am Platz.

Der AK Vorratsdatenspeicherung machte zuerst mit einer Klage gegen die sogenannte Vorratsdatenspeicherung von sich reden. Nach dem Gesetz »soll ab 2008 nachvollziehbar werden, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden oder das Internet genutzt hat«, heißt es auf der Website des AK. »Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden.«

Mit Hilfe der gespeicherten Daten könnten »Bewegungsprofile erstellt, geschäftliche Kontakte rekonstruiert und Freundschaftsbeziehungen identifiziert werden«, so der AK. Sogar »Rückschlüsse auf den Inhalt der Kommunikation, auf persönliche Interessen und die Lebenssituation der Kommunizierenden« würden möglich. Zugriff auf die Daten erhielten Polizei, Staatsanwaltschaft und selbst ausländische Staaten.

Na und? Wer mit wem und von wo aus telefoniert, darf doch schließlich jeder wissen. Wirklich? Auch wenn Sie mal Ihren Psychologen oder die Telefonseelsorge anrufen oder ein Gespräch aus Ihrem Lieblings-Swingerclub führen? Was weiß ich denn. Telekommunikationsdaten sind jedenfalls nicht irgendetwas, sondern wesentlich aussagekräftiger als bisher angenommen. Sie können nämlich »wichtige Informationen über unser Verhalten und unsere Beziehungen zu anderen« enthalten, meldet die Humanistische Union. Anlässlich einer Studie des Massachussetts Institute of Technology (MIT) habe sich herausgestellt, daß Analytiker von Mobilfunkdaten am Ende mehr über die Telefonierer wissen, als diese selber. Über einen Zeitraum von neun Monaten werteten die Forscher die Verkehrsdaten der Mobiltelefone und Daten über die Verwendung von Bluetooth von 95 Versuchspersonen aus. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse wurden mit den Ergebnissen einer Befragung der Versuchspersonen über ihr soziales Umfeld verglichen.

34.443 Vollmachten in 102 Akten-

ordnern in 12 Umzugskartons:

die Akten der Verfassungsklage.

Und siehe da: Mit Hilfe der Mobilfunkdaten gelang es, die Versuchskaninchen komplett zu durchleuchten – und zwar noch besser, als dies mit Hilfe der persönlichen Befragung gelang. Während die Versuchspersonen ihr soziales Verhalten und Umfeld mitunter verzerrt wiedergaben, je nach dem, unter welchem Eindruck sie gerade standen, konnten die Auswerter der Mobilfunkdaten mit einer Trefferwahrscheinlichkeit von 96 Prozent Aussagen über Freundschaften und Feindschaften der Teilnehmer treffen. Sogar die Zufriedenheit am Arbeitsplatz ließ sich an den Mobilfunkdaten ablesen. Kurz: Das Handy mitten in Ihrer Hosentasche ist längst in eine allwissende Wanze umfunktioniert worden. Und zwar, ohne dass ein einziges Gespräch abgehört wird, wohlgemerkt. Und tschüss, Post- und Fernmeldegeheimnis.

Um diesen Gefahren zu begegnen, kämpft der AK Vorratsdatenspeicherung gegen das Stasi-Gesetz über die Vorratsdatenspeicherung und reichte am 31. Dezember 2007 beim Bundesverfassungsgericht die größte Sammelverfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik ein. Über 34.000 Beschwerdeführer hatten sich angeschlossen. Im Rahmen einer Eilentscheidung am 11. März 2008 wurden die Befugnisse der Behörden bereits zurechtgestutzt.

Wo Staat und Konzerne allwissend werden, muss der Bürger zunehmend konspirativ leben: Bei seinem Aktionstag »Freiheit statt Angst« will der AK Vorratsdatenspeicherung in einigen Städten kostenlos Hunderte von »pseudoregistrierten« Handykarten verteilen. »Mit diesen kann man sich gegen das Ausspionieren seiner Kommunikationsbeziehungen und Bewegungen schützen«, so der AK. »So soll die seit Januar eingeführte Totalprotokollierung der Telefon- und Handynutzung ad absurdum geführt werden.« Laut AK kann man mit diesen aus Altbeständen stammenden Handykarten legal telefonieren, ohne über die Kundendatei des Anbieters identifizierbar zu werden. Aufladekarten gibt’s anonym in jedem Mobilfunkgeschäft, an Automaten und Tankstellen. Noch anonymer wird’s, wenn man sein Handy gebraucht von Privat (z.B. auf einem Flohmarkt) kauft. Dann kann auch das Gerät nicht mit dem eigenen Namen in Verbindung gebracht werden. Doch Vorsicht: Je häufiger man mit Bekannten und Freunden telefoniert, deren Karten und Telefone »echt« sind, umso durchsichtiger wird die eigene Identität. Denn dann sind wieder Rückschlüsse auf den anonymen Anrufer möglich. Deshalb: Je weniger authentisch registrierte Karten und Telefone überhaupt in Umlauf sind, umso besser.

Und schließlich sollte man auch die anderen Spuren, die wir hinterlassen, zum Beispiel bei unbaren Einkäufen und Flügen (Fluggastdatenspeicherung) nicht vergessen. Deshalb: Einfach mal wieder bar zahlen, weniger fliegen und auch sonst nicht so großzügig mit den Daten umgehen. Keine Daten zu produzieren, ist schick.