Ministerin auf Abruf: Die Republik wartet auf die Entscheidung über Ursula von der Leyens Doktorarbeit

Ursula von der Leyen – war da mal was? Und ob: Da waren doch die Plagiatsvorwürfe gegen die amtierende Verteidigungsministerin! Auf 27 ihrer 62 Seiten dünnen Dissertation sollen Plagiate entdeckt worden sein, das beträfe also 43,5 Prozent aller Seiten! Aber was soll man sagen: Nachdem der Fall im vergangenen Jahr kurz und heftig hochkochte, herrscht inzwischen tiefes Schweigen im Blätterwald. Es ist, als hätte der Mediendschungel vdLs Doktoraffäre einfach verschluckt. Was ist da los? Gerhard Wisnewski hat nachgefragt…

 

Ursula von der Leyen tut so, als wäre nichts gewesen: Egal, ob sie nun in Kabinettssitzungen sitzt, durch Talkshows tingelt oder internationale Termine absolviert: Immer sieht sie so frisch und glatt aus wie eine Teflonpfanne. Auf dem Berliner Parkett tanzt sie genauso sicher wie auf dem Tanzboden der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2016.

 

Die Frage ist: Wie schafft sie das, angesichts des Damoklesschwertes, das über ihr schwebt: des drohenden Entzugs ihres Doktorgrades durch die Medizinische Hochschule Hannover?

 

Fahrlässige Menschenversuche?

 

Rückblick: Im August 2015 hatte die Plagiatsplattform VroniPlag Alarm geschlagen. Bis Ende September desselben Jahres hatten die Plagiatsjäger sogar auf 43,5 Prozent der Seiten ihrer Doktorarbeit mutmaßliche geistige Diebstähle ausgemacht. Drei Seiten sollen zu 50 bis 75 Prozent aus fremdem Material bestanden haben, weitere fünf Seiten sogar zu mehr als 75 Prozent. Ein schwerer Verdacht – aber nicht der einzige: »Ursula von der Leyen könnte in ihrer Doktorarbeit auch gegen medizinethische Grundsätze verstoßen haben«, meldete Spiegel Online am 20. Oktober 2015. Laut sueddeutsche.de vom selben Tag könnte sie Versuchspersonen »nicht über ein mögliches Infektionsrisiko aufgeklärt haben«.

 

Gegenstand der Dissertation war demnach der Einsatz eines »Entspannungsbades« bei Schwangeren, die einen vorzeitigen Blasensprung bekommen hatten. Was vor dem Platzen der Fruchtblase hilfreich sein kann, galt danach damals als problematisch – und zwar wegen der Infektionsgefahr. Ist die Fruchtblase mit dem Baby einmal geplatzt, könnten vielleicht Keime aus dem Badewasser eindringen und das Ungeborene infizieren, so die Befürchtung.

 

Und genau über dieses Risiko habe von der Leyen ihre Versuchspersonen wahrscheinlich nicht informiert, so der Vorwurf. »Es spricht einiges dafür, dass die Probandinnen über die potenzielle Gefahr nicht aufgeklärt wurden«, so die SZ im Oktober 2015: »Zumindest steht davon in der Doktorarbeit ebenso wenig wie von einer wirksamen Einwilligung der Patientinnen; auch fehlt jeder Hinweis darauf, dass eine Ethikkommission die Studie gebilligt hat.«

 

Dünn oder dürftig?

 

Was da nicht alles fehlt! Drittens ist den Plagiatsjägern nämlich aufgefallen, dass Frau von der Leyen in der Arbeit angibt, »einen bestimmten statistischen Test durchgeführt zu haben, der in der Form aber gar nicht existiert« (Tagesspiegel, online, 17.11.2015). Versuchspersonen nicht über Risiken informiert? Ethikkommission nicht gefragt? Statistiktest fehlt? Die naheliegendste Erklärung für das Fehlen all dieser Maßnahmen könnte natürlich lauten, dass es die Versuche und Versuchspersonen nie gegeben hat. Dann müsste man natürlich weder die Probanden warnen noch eine Ethikkommission befragen.

 

Ist von der Leyen also etwa eine ausgemachte Hochstaplerin und Betrügerin? Schließlich wäre da auch noch der »Stanford-Fall«: In ihrem Lebenslauf rühmte sich die Verteidigungsministerin, »zwei Stationen an der kalifornischen Elite-Hochschule absolviert zu haben«, berichtete die Welt am 11. Oktober 2015: »1993 war sie demnach ›Auditing guest an der Stanford University, Graduate School of Business‹.«

 

Dabei fiel der Zeitung schon auf, dass es diese Bezeichnung gar nicht gibt: »Ein Gasthörer ist ein ›guest auditor‹ oder ›guest student‹.« Und das wiederum kann normalerweise jedermann sein, der Lust hat, an einer Vorlesung teilzunehmen, egal ob Kind, Greis oder Hausfrau. In der Regel wird dabei weder auf Anwesenheit geachtet, noch müssen irgendwelche Leistungsnachweise erbracht werden.

 

Auf diese Weise könnte also jedermann seinen Lebenslauf mit der Universität Stanford oder einer anderen hochkarätigen Alma Mater verzieren. Des Weiteren habe von der Leyen noch einen »Aufenthalt an der Stanford Health Services Hospital Administration« angeführt.

 

Eine Uni fällt aus allen Wolken

 

Die Universität Stanford jedoch fiel zunächst aus allen Wolken. Von Ursula von der Leyens segensreichem wissenschaftlichen Wirken hatte man dort rein gar nichts mitbekommen. Dieses Feuer wurde allerdings schnell ausgetreten: Schriftlichen Dokumenten zufolge hatte Ursula von der Leyen »einen ehrenamtlichen Job in der Krankenhausverwaltung«, schrieb die Welt (online, 11.10.2015). Außerdem habe sie »gemeinsam mit einer eingeschriebenen Studentin und der Billigung eines Dozenten« eine Studie zu Behandlungen von Unfruchtbarkeit verfasst, »deren Veröffentlichung von einem Fachjournal jedoch abgelehnt wurde«. Des Weiteren habe von der Leyen »wohl informell« Seminare und Vorlesungen an der Uni besucht. Also als Gasthörer – siehe oben.

 

Aktivitäten dieser Art würden zwar »nicht registriert«, habe die Hochschule von Stanford nun mitgeteilt: »Eine Auflistung davon sei aber keine missbräuchliche Benutzung des Namens der Hochschule. Die Universität bedauere jegliche Fehlkommunikation, die entstanden sei.« Und tatsächlich kam man die Universität Stanford auch heute noch als akademische Etappe in von der Leyens Lebenslauf bewundern.

 

Eisernes Schweigen

 

Möglicherweise war die zukünftige Verteidigungsministerin eher aus privaten Gründen in Stanford, nämlich als Anhängsel ihres Ehemannes Heiko von der Leyen, der von 1992 bis 1996 an der Stanford University tätig war. Ihre angeblichen Aktivitäten sind bewundernswert, da sie um dieselbe Zeit zwei Kinder bekam. Drei kleine Kinder hatte sie schon mitgebracht – macht zusammen fünf.

 

Nach dem Stanford-Aufenthalt wurde Gatte Heiko ein hohes Tier an der Medizinischen Hochschule Hannover, also an derselben Einrichtung, an der auch sie promovierte und die heute ihre Dissertation untersucht. »Die Familie Leyen pflegt enge Verbindungen zur Medizinischen Hochschule Hannover«, schrieb der Tagesspiegel am 1. Oktober 2015. »Ist die Uni in der Plagiatsaffäre also befangen?« Nicht doch: Die Untersuchungskommission »tagt unabhängig«, schrieb mir auf Anfrage der Pressesprecher der MHH, Stefan Zorn (siehe unten).

 

Aber stimmt das wirklich? Dabei geht es nämlich nicht nur um die oben erwähnte Karriere ihres Mannes bei der MHH. Die Familie war und ist der Universitätsklinik überhaupt eng verbunden. Bis 1990, dem Erscheinungsjahr von Ursula von der Leyens Dissertation, war ihr (inzwischen verstorbener) Vater Ernst Albrecht als niedersächsischer Ministerpräsident auch oberster Dienstherr der staatlichen Einrichtung.

 

Laut Tagesspiegel ist Ursula von der Leyen zudem »Gründungsmitglied des Ehemaligen-Vereins MHH-Alumni e. V.« – wo demzufolge ausgerechnet auch der Vorsitzende jener Kommission auftaucht, die nun ihre Doktorarbeit prüft. Darüber hinaus sei die Ministerin mit der Förderstiftung der MHH »vernetzt«, also mit einer wichtigen Geldquelle der Uni.

 

Eine Pressemitteilung aus dem Jahr 2010 listet von der Leyen als Kuratorin der Stiftung auf. Ob das alles ihre Promotion erleichtert hat, ist natürlich Spekulation – beziehungsweise ob dadurch eine objektive Prüfung erschwert wird. Die Universität wies Letzteres gegenüber dem Tagesspiegel zurück.

 

Die Uni prüft und prüft und prüft…

 

Von der Leyen selbst braucht man zu den Querelen um ihre Doktorarbeit übrigens nicht zu befragen, denn sie äußert sich nicht über das laufende Verfahren. Und auch bei den Prüfern herrscht seit Herbst 2015 eisernes Schweigen. Dabei ist die 62 Seiten zählende Doktorarbeit der Verteidigungsministerin ja nicht gerade ein dicker Wälzer. Doch seit Ende Oktober 2015 herrscht auch in den Medien fast vollständige Funkstille über den Fall.

 

Zuletzt brachte die Welt am 8. Januar 2016 drei dürre Sätze dazu. Inhalt: Nix Genaues weiß man nicht. »Gut drei Monate nach dem Start der Prüfung von Ursula von der Leyens umstrittener Doktorarbeit liegt noch kein Ergebnis vor.« Inzwischen prüft die Medizinische Hochschule Hannover seit nunmehr viereinhalb Monaten – und prüft und prüft.

 

Nichts gegen Gründlichkeit, aber je länger es dauert, desto brisanter wird es – nicht nur deshalb, weil von der Leyen Verteidigungsministerin ist, sondern auch, weil sie schon die dritte Merkel-Ministerin ist, die unter Plagiatsverdacht steht. Zwei mussten schon gehen (zu Guttenberg und Schavan). Überdies gilt von der Leyen als heimliche Kanzlerkandidatin beziehungsweise Erbin von Angela Merkel. Am 13. Februar 2016 schickte ich deshalb folgende Mail an die Medizinische Hochschule Hannover:

»Sehr geehrte Damen und Herren,

Ihrer Pressemitteilung vom 28.9.2015 zufolge haben Sie die umstrittene Dissertation von Frau Ursula von der Leyen einer ›förmlichen Untersuchung‹ zugeführt. Darf ich Ihnen in diesem Zusammenhang einige Fragen stellen:

1. Wie ist der aktuelle Stand dieser Untersuchung?

2. Lässt sich schon eine Tendenz ablesen?

3. Wann wird sie abgeschlossen sein?

Für eine zeitnahe Antwort bedanke ich mich schon jetzt.

 

Freundliche Grüße

Gerhard Wisnewski«

 

Die Antwort ist an Kargheit kaum noch zu überbieten: »Die Kommission tagt unabhängig«, schrieb mir der Pressesprecher Stefan Zorn: »Sobald ein Ergebnis vorliegt, werden wir die Medien und auf unserer Homepage informieren. Insofern kann ich Ihre Fragen nicht beantworten.« Man darf also weiter warten und warten und warten. Man kann nur hoffen, dass das Ergebnis dann auch entsprechend objektiv und wasserdicht ausfällt…