Schleichende Umerziehung: Warum wir uns alle duzen sollen…

Schleichend hat sich eine Seuche ausgebreitet: Unternehmen sind infiziert, Behörden sind infiziert, und auch die Polizei hat sich angesteckt. Die Epidemie vernebelt das Gehirn, reißt gesellschaftliche Grenzen ein und führt dazu, dass Behörden und Konzerne plötzlich schmierig auf Tuchfühlung zu uns gehen. Und kein Lockdown und keine Impfung sind in Sicht. Die Rede ist nicht von „Corona“, sondern vom Duzen: IKEA sowieso, aber inzwischen duzt mich auch meine Autovermietung, und selbst meine Milchpackung quatscht mich an: „Bestimmt wusstest Du, dass diese Verpackung hauptsächlich aus Karton besteht. Aber wusstest Du, dass nun auch Kunststoff aus Zuckerrohr in der Verpackung eingesetzt wird“? Nein, wusste ich nicht. Aber nicht nur auf Etiketten und Werbemitteln grassiert das Du, sondern auch von Mann zu Mann (oder Frau zu Frau, natürlich): Der Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Lowis vom Chemnitzer Energiekonzern Envia-M. ist zum Beispiel ein ganz „cooler Typ“: „Er bietet allen Mitarbeitern an, auf das Siezen zu verzichten“. Donnerwetter: Immerhin ist Envia ja keine Drei-Mann-Werkstatt, wo jeder mit dem anderen schwitzend auf Augenhöhe arbeitet, sondern ein Unternehmen mit 3.300 Mitarbeitern! Egal: Bei Envia-M „darf jetzt jeder Monteur Du zum Chef sagen. Das gilt auch für die Büroangestellten im Homeoffice“. Und vermutlich darf in Zukunft auch jeder Lehrling den Vorstandsvorsitzenden mit „Du“ ansprechen: „Es helfe, Distanz zu überwinden.“ Interessant: Während wir überall zum „social distancing“ angehalten werden, wird soziale Distanz in der Sprache abgebaut.

Mode oder Manipulation?

Aber warum ist dieses Thema überhaupt wichtig? Nun, bislang hielt man es für eine Mode und fügte sich mehr oder weniger widerwillig. Wer will schon als altbacken und „von Gestern“ gelten? Aber nun, unter der Corona-Diktatur, ändert sich das Bild. Erst jetzt kommen wir darauf, was dahinter steckt. Erst heute, im galoppierenden Mao-Faschismus und Corona-Kommunismus, passt diese „Mode“ ins Bild. Denn erstens beseitigt das Duzen einen wichtigen sozialen Schutz – jedenfalls da, wo Du und Sie zur Sprachkultur gehören: Das Sie wahrt Abstand zwischen einander Fremden, bis man sich vertrauter wird und den anderen in seinen inneren Kreis aufnimmt. Dennoch setzt sich das Duzen „bald auf der ganzen Linie durch“, schrieb die Neue Zürcher Zeitung (27.4.2019): „Die Angestellten von Großkonzernen können heute bis in die Chefetagen hinauf duzen, und aus den Konzernen duzt es auf die Kunden heraus. …Auch die grössten Eigenbrötler sind jetzt zu Communitys verdammt, in denen hemmungslos geduzt wird. Der Telefonanbieter ist mit mir per Du, das Wasserwerk und der Sockenlieferant. Früher war das anders“ (online, 27.4.2019). Eben: Früher waren dafür eigene Rituale erforderlich, wie etwa das „Bruderschaft Trinken“. Später genügte das verbale Angebot des jeweils Älteren, sich künftig zu duzen.

Es bedurfte also einer Genehmigung und eines Einverständnisses. Zwar war das kein absoluter Schutz, und manchmal kehrte man später wieder zum Sie zurück. Aber eine Person ohne deren Einverständnis zu duzen, ist nach wie vor ein Übergriff: Das sich ausbreitende Du macht es erstens leichter, Bürger und Verbraucher zu manipulieren, da damit eine wichtige soziale Abschirmung verloren geht. Zweitens: Ein „Du“ zwischen Fremden war bisher Ausdruck eines Ranggefälles, etwa zwischen Erwachsenen und Kindern oder Jugendlichen. Durch das Du werden wir nun quasi alle zu Kindern oder Halbwüchsigen degradiert, die man herumschicken kann. Drittens ist das Du die Anrede unter „Genossen“: „Man sprach einander mit »Kamerad« und »du« an und sagte »Salud!« statt »Buenos dias«“, schwärmte schon der Sozialist George Orwell 1938 in seinem Buch „Mein Katalonien“: „Generale und einfache Soldaten, Bauern und Milizsoldaten begegneten sich als ebenbürtig, jeder erhielt den gleichen Lohn, trug die gleiche Kleidung, aß die gleiche Nahrung und nannte jeden anderen du und Kamerad“. Wie schön!

Enteignet und zufrieden

In Wirklichkeit geht es um eine schleichende Umerziehung. Schon in ein bis zwei Generationen wird die „Sie-Grenze“ vergessen sein. Dass nun immer mehr Konzerne ihre Kunden kumpelhaft duzen, ist ein Alarmzeichen: „Hallo Torben, super, dass du dich für Car2go entschieden hast. Anbei erhältst du deine aktuelle Rechnung“, zitierte brandeins-Autor Torben Müller aus einem Schreiben der Autovermietung car2go. Nicht zufällig sind moderne Autovermietungen und insbesondere Carsharing-Modelle eine Form der Kollektivierung, bei der die Nutzer den Gegenstand nicht mehr besitzen und so zu Genossen werden. »Was Sie brauchen, werden Sie mieten“, erklärte das World Economic Forum in einem programmatischen Video über die schöne neue Zukunft: »Sie werden nichts besitzen und damit zufrieden sein«. Aber wie ist das erst im Verhältnis zwischen Staat und Bürger? „Die Berliner Polizei, die BVG, sogar der Regierende Bürgermeister duzt die Bürger*innen. Das klinge wie Kommunikation auf Augenhöhe, sagen Experten – ist aber keine“, schrieb die taz (online, 13.6.2018). In Wirklichkeit ist das gefährlich: Der Staat wanzt sich an die Bürger heran und degradiert sie auch auf diese Weise zu Untergebenen. „Wir leben in einer Duz-Welt“, sagt der Soziologe Ronny Jahn von der International Psychoanalytic University in Berlin. „Allgemein ist eine Tendenz zur Entgrenzung festzustellen“ (brandeins.de, 2018, siehe Link). Nämlich weil es in diesem Fall dem System nützt. „Herr Bundeskanzler“, antwortete einst Lothar de Maizière, der letzte Ministerpräsident der DDR, auf das Du-Angebot von Helmut Kohl: „Ich habe nicht 40 Jahre DDR-Genossen-Du überstanden, um mich nun in der Bundesrepublik gleich wieder duzen zu lassen“ (Die Welt, 10.6.2016). Tja – das war wohl nix, denn die DDR ist hierzulande als DDR 2.0 wieder auferstanden – und zwar als einziger großer Knast. Denn auch dort sagen alle Insassen du zueinander…