Milosevics Tod und eine einfache Frage

Von Werner Schlegel

Manchmal ist Zerrspiegel-Online ein bisschen spät dran mit seinen Informationen, aber dafür dann ? ganz  ?investigativ? ? umso gründlicher. Nur leider weder in der Recherche, noch in so einer simplen Sache, wie dem schlichten Nachdenken.
Dass in einer Blutprobe des toten serbischen Ministerpräsidenten Slobodan Milosevic ?Spuren eines Medikamentes gegen Lepra und Tuberkulose? gefunden wurden, meldeten dpa und einige Sonntagszeitungen schon am 12. März. Also musste das Medium, überdessen Zustand Rudolf Augstein im Grab in Dauerrotation geriete, bei seiner verspäteten Nachberichterstattung schon etwas mehr bieten: ?Milosevic habe eigenmächtig ein Medikament eingenommen, das die Wirkung der ihm verschriebenen Mittel gegen Bluthochdruck aufhob, teilte der niederländische Toxikologe Ronald Uges von der Universität Groningen (?) mit?, ?informiert? Spiegel Online am 13. März.

Das kommt davon, wenn man einfach bei CNN-Online abschreibt, wo genau dasselbe zu lesen war. Ronald Uges hat nämlich gar nicht mitgeteilt, dass Milosevic das Mittel ?eigenmächtig eingenommen? hat, sondern lediglich ?die Vermutung geäußert?, es könnte so gewesen sein, wie einige niederländische Zeitungen (etwa ?de Volkskrant?) berichten. Ein kleiner, aber doch ziemlich wichtiger und geradezu Spiegel-typischer Manipulationsunterschied. Unmerklich werden mit ein, zwei kleinen Formulierungen die Akzente verschoben und ?Wahrheiten? kreiert, die es so nicht gibt. Wer diese ?Wahrheiten? dann anzweifelt, ist ein Verschwörungstheoretiker.
Sei?s drum, reihen wir uns als in diese Liste ein, wir befinden uns ja in ziemlich guter Gesellschaft.
Wer sich ein wenig mit Justiz und Gefängnissen auskennt, der weiß natürlich, dass so etwas ganz einfach ist. Man geht nach dem Frühstück gemütlich in die Gefängnisapotheke: ?Guten Tag, ich möchte ein Mittel, das die blutdrucksenkende Wirkung der von mir genommenen Medikamente wieder aufhebt?. Die kriegt man dann lächelnd ausgehändigt, bezahlt, geht und nimmt sie brav täglich ? zusammen mit den anderen, blutdrucksenkenden Medikamenten.
?Das Denken soll man den Pferden überlassen, die haben die größeren Köpfe?, sagte meine Großmutter oft. Ich wusste nicht, dass sie Beraterin des Zerrspiegel (und anderer Medien) war.
In Gefängnissen gibt es normalerweise nicht einmal die benötigten Medikamente packungsweise frei Haus. Sie werden täglich einzeln ausgegeben, wie in einem Krankenhaus.Vielleicht war das in Holland ? im Gegensatz etwa zu Stuttgart-Stammheim ? ganz anders. Vielleicht bekam Milosevic seine blutdrucksenkenden Mittel dort packungsweise und konnte sich täglich selbst bedienen. Den Wirkstoff Rifampicine aber bekam er jedenfalls nicht verschrieben.
Nun könnte man – wie in ?Der Baader Meinhof Komplex? vom heutigen Spiegelchef Aust vielfach geübt ? einfach unterstellen, Anwälte (oder ein bestochener Wärter?) hätten Milosevic das Medikament gegen Tuberkulose und Lepra besorgt und eingeschmuggelt. Nur: ?Was für ein gigantischer Unfug!?, würde Reich-Ranicki sagen, ginge es um eine Krimirezension: Es wäre doch viel einfacher gewesen, Milosevic hätte einfach regelmäßig ?vergessen?, die verordneten blutdrucksenkenden Mittelchen einzunehmen.
Genau dies wurde übrigens von einem der behandelnden Ärzte unterstellt. Und nur deshalb wurde überhaupt eine Blutprobe des Ex-Staatschefs (und Diktators) zur Untersuchung nach Groningen gegeben. Doch siehe da ? genau diese ergab, er nahm sie. Nur bekam er leider gleichzeitig ein Mittelchen, dass deren Wirkung wieder aufhob.
Aber, wird der kluge FAZ-bis-Spiegel-Kopf jetzt entgegen: Milosevic nahm zur Tarnung die blutdrucksenkenden Mittel ? weil er damit rechnete, dass die Nichteinahme per Blutuntersuchung nachweisbar wäre. Und anschließend das eingeschmuggelte Medikament, um deren Wirkung wieder aufzuheben. Bingo!
?Harry, fahr schon mal den Wagen vor!“, sagt da kopfschüttelnd jeder Fernsehkommissar und fügt hinzu: ?Erstens wäre das eine astreine ? und reichlich dumme! ?Verschwörungstheorie. Außerdem: Wenn er wusste, dass die Nichteinnahme des einen Medikaments nachweisbar ist, hätte er auch gewusst, dass zusätzlich genommene andere Medikamente ebenfalls nachgewiesen werden können? (was am 21. Februar dann auch geschah).
Und weil der dumme Harry wieder mal nix kapiert, gibt er ihm noch einen diskreten Hinweis: ?Dem Opfer, lieber Harry, nützte erstens die Einnahme des Wirkstoffes Rifampicine gar nichts, wie sein Tod eindeutig beweist. Zweitens, wenn das schon am 21. Februar entdeckt wurde, wäre allerspätestens am 22. Februar seine Zelle nach diesem anderen Medikament durchsucht und es beschlagnahmt worden. Also: Cui bono??
Womit wir wieder beim Thema Verschwörungstheorien wären. Und bei meiner Oma. Ab und zu sagte sie nämlich auch: ?Denken ist Glückssache ? und Glück hat nicht jeder?.  Zerrspiegel-Online und einige andere Medien  scheinen schon ziemlich lange vom Glück verlassen.
Tja, wer kann auch ahnen, dass ein kritischer Arzt seinem Knast-Patienten nicht glaubt und kurzerhand nachprüfen lässt, ob der seine blutdrucksenkenden Mittelchen auch wirklich einnimmt? Da kann man mal sehen, wohin kritischer Geist führt. Bringt nichts als Scherereien. Ohne ihn gäbe es das dringend erklärungsbedürftige Problem mit dem TBC- und Lepramedikament in Milosevics Blutprobe nämlich gar nicht. Kein Wunder, dass gewisse Herrschaften lieber ein Volk von Spiegel– und Bild-dir-meine-Meinung-Lesern hätten.