Karikaturen: Konflikt aus dem Drehbuch?

Von Gerhard Wisnewski

Stellen Sie sich mal vor, sie sind Politik-Professor an einer amerikanischen Universität, und nach dem Zusammenbruch des Ostblocks packt Sie die große Sinnkrise. Vorbei der schöne Ost-West-Konflikt. Perdu der Kalte Krieg. Hektisch suchen Sie nach anderen Konflikten, die den Dauerkonflikt zwischen Ost und West ersetzen könnten. Und Sie werden fündig: Wie wäre es zum Beispiel mit einem „Kampf der Kulturen“? Da gibt es schließlich auch soetwas wie Blöcke, nämlich Hunderte von Millionen Muslime und Christen, die sich gegenüberstehen.

Und da gibt es auch Interessen, vor allem das, daß die Muslime auf dem Öl sitzen. Der schwarze Saft gehört praktisch Allah – ein untragbarer Zustand. Flugs schreiben Sie ein dickes Buch, nennen es „Kampf der Kulturen“ und prophezeien etwas zu jener Zeit vollkommen Abwegiges, nämlich weltweite, gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen.

Während andere schon vom „Ende der Geschichte“ schwärmen, versteigen Sie sich zu der abstrusen Annahme, daß nach der Überwindung des politischen Konflikts nun die Kultur die Grundlage der Neuen Weltordnung sei. Und um es ganz wild zu machen, behaupten Sie, Kulturen repräsentierten die einzig wahren menschlichen Stämme, und der Kampf der Kulturen sei ein Stammeskonflikt im Weltmaßstab. Im Grunde genommen prophezeien Sie also nicht mehr und nicht weniger als ein neues Mittelalter, in dem sich Religionen und Ethnien in einem wilden Hauen und Stechen gegenüber stehen.

Ansonsten harren Sie der Dinge, die da kommen werden. Aber da Sie eben bloß ein kleiner Politik-Professor an irgendeiner Uni sind, können Sie da lange warten – denn die Weltgeschichte „doesn’t give a damn“ auf irgendwelche Politik-Professoren.

Komischerweise nicht bei dem Harvard-Professor Samuel Huntington. Ganz im Gegenteil: Die Weltgeschichte beeilt sich verdächtig beflissen, seine „Prophezeiungen“ und Überlegungen eintreffen zu lassen, und zwar schon fünf Jahre nach dem Erscheinen seines Buches „Clash of Civilizations“ im Jahre 1996. Da, am 11. September 2001, bretterten doch glatt ein paar wildgewordene Muslime mit gekidnappten Airlinern in Gebäude in New York und Washington. Fertig war der schönste Kampf der Kulturen. Und heute kann man auch exakt jene weltweiten, gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen beobachten, die Huntington voraussagte: Muslime und Nichtmuslime schlagen sich die Köpfe wegen ein paar miserabler „Karikaturen“ ein. Und über allem sitzt die US-Regierung und reibt sich die Hände, weil es nun bald Zeit ist, die frechen Muslime platt zu machen und das ganze Öl zu christianisieren.

Erstaunlich, wie?

Es geht so. Denn die schönste Prophezeiung ist nur noch halb so gut, wenn der Hellseher das Rad der Geschichte selber dreht. Genau das ist bei Huntington der Fall. Der gute Mann gehört nämlich zu den Vordenkern und Masterminds der heutigen US-Regierung und insbesondere der sie tragenden Neo-„Konservativen“. So sitzt er in Drahtzieher-Kreisen wie etwa der New Atlantic Initiative des American Enterprise Institute. Neben Huntington sind diesem Club auch Norman Podhoretz, Donald Rumsfeld, William Kristol und Richard Perle assoziiert, die  wiederum auch im Project for the New American Century aktiv sind, der bestimmenden Denkfabrik der gegenwärtigen US-Regierung.

So könnte es durchaus sein, daß es sich bei Huntingtons „Kampf der Kulturen“ weniger um eine Prophezeiung handelt, als vielmehr um ein Drehbuch, das nun von der US-Regierung und ihren weltweit tätigen Provokateuren umgesetzt wird.