Dubioser Zeuge: Falschspiel im Fall Schumacher?

Nur 20 km/h soll Ex-Formel-1-Rennfahrer Schumacher bei seinem Skiunfall in den französischen Alpen schnell gewesen sein, behauptete zuletzt ein angeblicher Zeuge, über den der Spiegel berichtete. Allerdings hätte der Helm dann nicht brechen sollen. Und eine Pressekonferenz der zuständigen Staatsanwaltschaft ergab jetzt: Bei den Behörden hat sich der Zeuge seltsamerweise noch nicht gemeldet. Auch der Staatsanwalt betrachtet ihn deshalb mit großer Skepsis…

Skigebiet Trois Vallée/Von Elementerre

Zuletzt schien alles klar zu sein. Bei seinem Skiunfall am 29. Dezember 2013 bei Méribel in den französischen Alpen soll Schumacher nicht schneller als 20 Stundenkilometer gefahren sein, berichtete der Spiegel. Bei dem Hamburger Magazin habe sich ein Skifahrer gemeldet, der den ehemaligen Formel-1-Piloten zufällig mit seinem Handy gefilmt habe, hieß es auf der Website des Blattes. Eigentlich habe der Unbekannte seine Freundin aufnehmen wollen, aber »im Hintergrund des Films« sei demnach zu sehen, »wie ein Skifahrer [vermutlich Schumacher] in dem nicht präparierten Teil zwischen zwei Pisten über den Schnee gleitet und schließlich zu Fall kommt. … Er soll ›gemächlich gefahren‹ und mit einem Tempo von ›maximal 20 Stundenkilometern‹ unterwegs gewesen sein«.

Typische PR-Inszenierung?

Kurz: Ein Unbekannter redet von einem Video, auf dem ein unbekannter Skifahrer mit in Wirklichkeit unbekannter Geschwindigkeit auf einer Skipiste hinfällt. Denn auf die Entfernung lassen sich wohl nur schwerlich Zahlenangaben machen. »Dass der Spiegel dieses Video und die Geschwindigkeitsangabe (›20 Stundenkilometer‹) auf dieser Grundlage überhaupt in die Welt setzte, ist erstaunlich«, hieß es in meinem letzten Bericht zum Thema: »Das Ganze riecht wie eine typische PR-Inszenierung.«Die Pressekonferenz der zuständigen Staatsanwaltschaft von Albertville vom gestrigen Mittwoch, 8. Januar 2014, scheint dieser Einschätzung Recht zu geben. Gleich die erste Journalistenfrage bezog sich auf Schumachers Geschwindigkeit bei seiner fatalen Abfahrt. Von dem Touristen mit dem Handy-Video habe er jedoch »keine Nachricht« erhalten, sagte Staatsanwalt Patrick Quincy laut dem TV-Sender Phoenix: »Ich persönlich bin da sehr reserviert.« Man habe auch »schon Kontakt zum Spiegel aufgenommen, aber noch keine Antwort erhalten«. Laut Medien hat der Staatsanwalt in Bezug auf den Film »allmählich Zweifel, dass er existiert«.

Keine Anhaltspunkte für Hilfeleistung Schumachers

War das alles also nur eine PR-Maßnahme aus dem Schumacher-Umfeld? Eine Frage, die sich auch in anderer Hinsicht stellt. So wurde der Ex-Rennfahrer auch mit der Meldung sympathisch gemacht, er habe auf der Skipiste einem gestürzten »Freund« oder auch »einem Kind« geholfen, bevor er verunglückt sei: »Nach exklusiven BILD-Informationen wollte der Formel-1-Star einem Kind helfen, geriet deshalb zwischen die Felsen«, schrieb beispielsweise die Bild-Website. »Plötzlich stürzt die Tochter eines Freundes auf der Piste. Schumi hilft dem Mädchen auf, verlässt den präparierten Bereich und fährt etwa 20 Meter in den Tiefschnee zwischen den Pisten ›Biche‹ und ›Mauduit‹.« Aber die Frage lautet: Sind diese Informationen etwa genauso »exklusiv« wie der dubiose Zeuge des Spiegel? Denn auch diesen Vorgang konnte die Staatsanwaltschaft Albertville bei der gestrigen Pressekonferenz nicht bestätigen.

So sei dieser Hilfseinsatz nicht auf Schumachers etwa zwei Minuten langem Videofilm zu sehen, erklärte Staatsanwalt Patrick Quincy laut der Übertragung bei Phoenix. »Da sehen wir keine derartige Aktion. Er gibt vielleicht nicht die gesamte Abfahrt wieder«, aber »man sieht keine Personen, man sieht keinen Unfall im Sichtfeld der Kamera von Michael Schumacher«. Ist also auch dieser geheimnisvolle Skifahrer oder dieses Mädchen, dem Schumacher angeblich zu Hilfe eilte, ein Phantom? Vermutlich. Denn da Schumacher vom Beginn der Piste bis zum Unfall kaum mehr als zwei Minuten gebraucht haben kann, müsste der Vorgang eigentlich sehr wohl auf dem Helmvideo zu sehen sein. Nach dem Unfall kann die Kamera schließlich kaum weitergelaufen sein, da das Video sonst wesentlich länger sein und auch die Hilfsmaßnahmen zeigen müsste. Davon wurde bei der Pressekonferenz jedoch nichts erwähnt.

Der behauptete Vorgang war nicht nur auf Schumachers Helmvideo nicht zu sehen, sondern »soweit ich weiß, gibt es dieses Element bei den Ermittlungen nicht«, sagte Staatsanwalt Quincy. Was bedeuten würde, dass die Sache auch bei den Vernehmungen keine Rolle spielte, sprich: nicht auftauchte.

Zu schnell oder nicht?

Aber wie kam es denn nun wirklich zu dem Unfall? Was sagt das Helmvideo des Rennfahrers darüber aus? Um es gleich vorweg zu sagen: Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Vor einem abschließenden Bericht will die Staatsanwaltschaft das Video noch »Bild für Bild« analysieren. Aber man habe den Film angesehen, und der sei »sehr gut verwertbar«. Demnach fährt der Ex-Formel-1-Star am 29. Dezember 2013 um etwa 11 Uhr die Piste an dem 2700 Meter hohen Berg Saulire bei Méribel hinunter: An einer Gabelung folgt er erst der roten Piste, dann verlässt er plötzlich die Abfahrt und fährt in ein Felsengebiet hinein, das zwischen der blauen und der roten Abfahrt liegt: »Bis zu einem Punkt, wo die Ski auf einen Fels treffen. Er verliert das Gleichgewicht, fällt mit dem Kopf auf einen Felsen acht Meter abseits der Piste« und kommt etwa neun Meter abseits der Pistenbegrenzung zum Liegen.

Und die Geschwindigkeit? Für den Staatsanwalt ist es nach wie vor »schwierig, die Geschwindigkeit zu bewerten«. Auch ein anwesender Ermittler sagt, man könne im Augenblick zur Geschwindigkeit noch nichts sagen, »aber es war die Geschwindigkeit eines guten Skifahrers auf einem abschüssigen Gelände«. Gemeint ist damit wohl die Piste. In einem engen Geröllfeld kann das natürlich viel zu schnell sein. Staatsanwalt Patrick Quincy ist jedenfalls der Meinung, dass sich Schumacher »bewusst außerhalb der Piste« in das Geröllfeld begeben hat. Die weiteren Ermittlungen können noch einige Wochen dauern. Tatsache bleibt, dass Schumachers Helm, der einem Aufprall mit mindestens 22 km/h widerstehen muss, genauso zertrümmert wurde wie sein Schädel. Die Frage bleibt also, ob und was der Ex-Rennfahrer am 29. Dezember 2013 beweisen wollte, als er mit seiner Hero“Kamera in dieses gefährliche Geröllfeld hineinfuhr. Staatsanwalt Quincy kann sich jedenfalls nicht erinnern, dass es hier schon einmal einen ähnlich schweren Unfall gegeben hätte.

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