BayernWLAN: Surfen, bis der Arzt kommt – Bayerischer Finanzminister ignoriert alarmierende Studie

20 000 neue WLAN-Hotspots für Bayern hat der bayerische Finanz- und Heimatminister Markus Söder den Bürgern versprochen – oder sollte man besser sagen »angedroht«? Denn schon seit 2006 liegt dem Bayerischen Landtag und damit auch der Staatsregierung eine Studie über die schlimmen Folgen elektromagnetischer Dauerbestrahlung vor. Die Lektüre ist nichts für schwache Nerven…

Herzlich willkommen im elektronischen Paradies: »Bayern wird das erste Bundesland mit einem eigenen WLAN-Netz. Bis 2020 wollen wir das kostenfreie BayernWLAN mit 20 000 Hotspots aufrüsten. … Ausgestattet werden insbesondere Kommunen, Hochschulen, Behörden und Tourismusziele. Im öffentlichen Nahverkehr sollen Pilotprojekte zum BayernWLAN starten«, jubelte der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) in einer Presseerklärung vom 23. Juni 2016.

Zwar wollen auch andere Bundesländer und Städte ihre Bürger mit kostenlosen WLAN-Hotspots beglücken, aber niemand geht so weit wie Bayern.

Ständiger »Krach« macht krank

Da staunt der Fachmann – und der Laie surft, bis der Arzt kommt: Denn elektromagnetische Strahlung macht erwiesenermaßen krank. Künstliche elektromagnetische Strahlung ist für Körper und Geist so etwas wie Dauerlärm: Ein paar laute Geräusche über einige Stunden schaden vielleicht nichts, aber ständiger Krach macht krank. Denken Sie an ein Radio, in dem es dauernd rauscht und knackt – mit dem gefährlichen Unterschied, dass man den »elektromagnetischen Dauerlärm« nicht hören kann. Die Folgen zeigen sich daher nicht bei jedem sofort, aber im Laufe von Jahren allemal. Und das weiß man spätestens seit 80 Jahren, als am 5. August 1932 Privatdozent Dr. Erwin Schliephake in der Deutschen Medizinischen Wochenschrift die biologischen Wirkungen von elektromagnetischer Strahlung beschrieb.

 

Bericht über das »Radiowellen-Syndrom« aus dem Jahr 1932

Und in Bayern weiß man es seit spätestens zehn Jahren. Genauer: seit dem 7. Juli 2006. An diesem Tag stellte Prof. em. Prof. Dr. med. Karl Hecht dem Bayerischen Landtag bei einer Anhörung die größte Studiensammlung der Welt zum Thema »Mobilfunk/Elektrosmog/Gesundheit« vor – nämlich die Untersuchungen in der früheren Sowjetunion und Russland über die gesundheitlichen Folgen elektromagnetischer Felder. Und dazu gehört heute natürlich auch das beliebte WLAN.

Im Auftrag des Bundesamtes für Post und Telekommunikation (heute Bundesnetzagentur) hatte Professor Hecht zwischen 1996 und 1997 eine Recherche der russischsprachigen Literatur zum Thema »Auswirkung von elektromagnetischen Feldern« (EMF) durchgeführt. Insgesamt wurden nicht weniger als 878 wissenschaftliche Arbeiten in seinen damaligen Bericht an das Bundesamt einbezogen.

Ergebnis: Anders als im Westen hatte man sich im Osten äußerst eingehend mit den Gefahren elektromagnetischer Strahlung beschäftigt. Angestellte und Arbeiter in der Elektro- und Elektronikindustrie (wo elektromagnetische Felder entstehen), an Sende- und Empfangsanlagen wurden dort regelmäßigen Reihenuntersuchungen unterzogen – und zwar viele Jahre lang. Die Untersuchungen seien an Zehntausenden von Arbeitskräften über Zeiträume von bis zu 20 Jahren durchgeführt worden, so Hecht.

Während im Westen in Sachen EMF hauptsächlich Kurzzeitstudien angefertigt wurden, wurden die russischen beziehungsweise sowjetischen Probanden teilweise jahrzehntelang beobachtet. Und das ist wichtig. Denn da sich die Dauerbestrahlung im Körper hauptsächlich als Dauerstress bemerkbar macht, erfährt man die Folgen häufig erst langfristig.

 

Die unterdrückte Wahrheit

Doch Hechts Dokumentation erlitt schon seinerzeit ein seltsames Schicksal: Sie »verschwand nach Übergabe 1997 durch die Autoren sofort im Archiv der Regulierungsbehörde und wurde nicht, wie beabsichtigt, dem Bundesminister für Umwelt und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt«, berichtet Hecht. Aber was war da so brisant an den Folgen der elektromagnetischen Bestrahlung, dass seine Studie gleich in der Schublade verschwand? Was sollte da auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen? Antwort: Die Ergebnisse von Hechts Literaturrecherche hatten es in sich. Die russischen Langzeitstudien ergaben unter anderem folgende Befunde bei Geschädigten elektromagnetischer Felder:

 

Objektive Beschwerden

• Schlafstörungen

• Überfunktion der Schilddrüse

• Potenzstörungen

• Verdauungsfunktionsstörungen

• Verlangsamung der Sensormotorik

• Ruhetremor der Finger

• Haarausfall

• Tinnitus

• erhöhte Infektionsanfälligkeit

• neurotische Symptome

• EEG-Veränderungen

• niedriger oder hoher Blutdruck, Herzrasen oder Herzverlangsamung

• Störung des Herz-Kreislauf-Systems

 

Subjektive Beschwerden

• Erschöpfung, Mattigkeit

• Tagesmüdigkeit

• schnelles Ermüden bei Belastung

• Einschränkung der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit

• Konzentrations- und Gedächtnisverminderung

• Konzentrationsschwäche

• Kopfschmerzen

• Kopfschwindel

• Schweißausbrüche

• spontan auftretende Erregbarkeit aus hypotoner Reaktionslage, besonders bei Anforderungen

• Herzschmerzen, Herzrasen

 

Die Wahrheit ist keine Panikmache

Am 7. Juli 2006 stellte Hecht diese Ergebnisse im Umweltausschuss des Bayerischen Landtages vor: »Diejenigen, die den Warnern vor gesundheitlichen Schäden durch EMF-Strahlung vorwerfen, ein ›Spiel der Angst‹ zu betreiben, handeln meines Erachtens verantwortungslos, weil sie wissenschaftlich fundierte Ergebnisse verschweigen und Leben und Gesundheit der Menschen nicht achten«, schrieb Hecht den Parlamentariern ins Stammbuch: »Das Mikrowellensyndrom muss sehr ernst genommen werden. Die Wahrheit ist keine Panikmache …«

Und zu dieser Wahrheit gehört, dass sich Mobilfunk oder andere Sendesysteme niemals lohnen würden, wenn die Betreiber auch die gesundheitlichen Folgekosten übernehmen müssten. So schlug Hecht 2006 vor, die Betreiber von Mobilfunk- und anderen Sendeanlagen zu verpflichten, »für die Bewohner ihres Einzugsbereiches jährlich die Kosten für einen Gesundheitscheck und für die Behandlung aufgetretener Gesundheitsschäden zu übernehmen«. Die Gesundheitsbehörden sollten eine ärztliche Meldepflicht für Strahlen-Symptome veranlassen, »wozu auch gehäufte Krebs- und Leukämieprävalenz zählen sollten«.

 

Ohne Wissen und Wollen

An Finanzminister Markus Söder ist das im Landtag offenbar vorbeigegangen. Heute will er ganz Bayern mit den Radiowellen von 20 000 WLAN-Hotspots bestrahlen, die in Fußgängerzonen genauso installiert werden sollen wie in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf Universitätsgeländen. Zwar surfen genügend Menschen ohnehin jeden Tag bedenkenlos über WLAN im Internet.

Aber das Bayern-WLAN bedeutet, dass hier Zehntausende von Menschen ohne ihr Wissen und Wollen zwangsweise mit WLAN bestrahlt werden sollen, zum Beispiel Angestellte von Geschäften, öffentlichen Verkehrsbetrieben, Universitäten und natürlich auch Passanten, die ahnungslos von einer Strahlungsquelle zur nächsten tappen.

Die Fahrlässigkeit ist erstaunlich. Denn immerhin war Söder vor seiner Berufung zum Finanzminister auch bayerischer Umweltminister. Oder soll hier vielleicht ganz einfach jemandem Geld zugeschanzt werden? Denn der Auftrag für die WLAN-Hotspots ging immerhin an einen bekannten Mobilfunk-Multi. Zwar wüsste man darüber gern Näheres, aber wie genau dieser Auftrag aussieht, darf man nicht erfahren. Denn der Inhalt des Vertrages ist geheim: »Details des Vertrages können nicht veröffentlicht werden«, antwortete Pressesprecherin Tina Dangl auf meine entsprechende Anfrage …

Copyright © 2016 Das Copyright für die Artikel von Gerhard Wisnewski liegt beim Autor