Amokläufe mit und ohne Selbstmord

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Nachgebildete Schule: Amokläufe mit…

Von Gerhard Wisnewski

Die öffentliche Diskussion über die Schulattentate ist an Verlogenheit und Heuchelei nicht mehr zu überbieten. Wie man das von der Politik nun mal gewöhnt ist, stellt sie die Realität völlig auf den Kopf. Dieses Land leidet ohnehin unter einem derart galoppierenden Realitätsverlust, daß es über kurz oder lang nicht mehr funktionsfähig sein dürfte. Mit der gewohnten Wichtigtuerei prügeln die Politker auf Computerspiele ein und verdächtigen sie als Ursache der Schulmassaker. Dabei sind sie nicht Ursache, sondern Ausdruck und Ventil für Aggressionen. Woher kommen denn die enormen Aggressionen auf die Schule, die Erwachsenen und das Leben allgemein? Ausdruck dieser Aggressionen sind ja nicht allein die Schulattentate; sie sind ja nur die spektakuläre und auch fragwürdige Spitze des Eisbergs.

Ursache der Gewalt sind weniger die Computerspiele als vielmehr diejenigen, die so nachdrücklich mit dem Finger auf sie zeigen. Haltet den Dieb!, schreien Politiker, die die Gesellschaft und ihre Kinder täglich um ihre Zukunft betrügen – dieselben Politiker, die dafür sorgen, daß der Dampfdruck in der Gesellschaft und in der Schule kontinuierlich steigt:

  • durch eine verkürzte Schulzeit, die den Druck zusätzlich erhöht,
  • durch den ständig steigenden Kostendruck durch Büchergeld u.a. in der Schule,
  • durch eine groteske Rechtschreibreform einschließlich dauernder Änderungen, die Schüler zwangsläufig verwirren und frustrieren muß, die um Lesen und Schreiben kämpfen,
  • durch die ständige Botschaft an die Kinder, daß sie sowieso niemand brauchen kann, wenn sie aus dem Tollhaus Schule herauskommen,
  • durch  fehlenden Kontakt und fehlende Ansprechpartner zuhause,
  • durch die Botschaft, daß sich immer weniger Schüler ihr Studium  werden leisten können,
  • durch das tägliche Erlebnis, daß schon die Eltern niemand mehr brauchen kann,
  • durch vom Existenzkampf bedrohte Eltern, die ihre Kinder nach der Schule in den Hort abschieben müssen,
  • durch ständige Angstkampagnen in Bezug auf  Terrorismus, BSE, Vogelgrippe, mit denen Politiker die Gesellschaft kontrollieren wollen,
  • und natürlich durch die Gewalt, die Politiker weltweit ständig selber ausüben  und vor der Welt in Friedensmissionen umlügen.

Sind letzteres vielleicht die Beispiele, die die Kinder von solchen Gewaltexzessen abhalten sollen? Kinder und Jugendliche sind sehr sensibel für Lügen; sie durchschauen sie oft bereits, wenn die Eltern noch an das Geschwätz von Bush und Merkel glauben.

 

…und ohne Selbstmord.

 

Nicht die Schüler, sondern die Politiker haben die Schule zum Schauplatz sadistischer Spielchen gemacht. Wie die Schüler die Attentate von Erfurt und Emsdetten verarbeiten sollen, ist die eine Frage. Aber die andere Frage ist: wie sollen sie die Attentate der Politik auf die Gesellschaft und die Schule verarbeiten? Die Kinder sind nicht nur die Zukunft, sondern auch der Spiegel einer Gesellschaft, und vor allem ein Spiegel der herrschenden Elite, also derjenigen, die in der Schule wirklich Gewalt ausüben. Schulmassaker und Videospiele lenken von den eigentlichen Gewalttätern ab: denjenigen, die das Leben allgemein und das in der Schule besonders immer unerträglicher machen.

Bei soviel Aggression von oben nach unten muß man sich eigentlich wundern, warum es nicht viel mehr Amokläufe gibt – innerhalb und außerhalb der Schule. Denn schließlich sind die obersten Amokläufer unsere Politiker: In Afghanistan, in Jugoslawien, im Kongo, im Irak, im Libanon. Allerdings besitzen sie nicht soviel Stil, am Ende Selbstmord zu begehen.