Das RAF-Phantom

RAF Phantom


Das RAF-Phantom – Inhalt

Der Autor über sein Buch
Wichtigste Quelle zum Verständnis der „RAF“Noch immer ist „Das RAF-Phantom“ die wichtigste Quelle zum Verständnis der „RAF“ in einer bei diesem Thema gleichgeschalteten Medienwelt. Wer die „RAF“ für eine durchgehend authentische Erscheinung der Linken hält, ist über wesentliche Tatsachen der „RAF“-Geschichte nicht richtig informiert. Ohne die Rolle der Geheimdienste ist der Terrorismus nicht zu verstehen.

Kurzinhalt

Seit 1985 mordet die „dritte Generation“ der RAF. Politiker, Wirtschaftsbosse und Industrielle gehören zu ihren Opfern. Doch gehen die präzisen Morde wirklich auf das Konto der linken Terrorgruppe? Die Polizei kann keinerlei Beweise, Festnahmen oder Täter vorweisen. Wer steckt hinter der RAF? Wem nützt die RAF? Waren Opfer wie Herrhausen und Rohwedder vielleicht politisch und wirtschaftlich Andersdenkende, die für die herrschenden Machtstrukturen unbequem waren? Die Autoren sind diesen Fragen in akribischen Recherchen und Gesprächen mit Angehörigen von realen Opfern und vermeintlichen Tätern nachgegangen. Sie zeigen, daß die dritte Generation der RAF nicht mehr ist als eine unbewiesene Behauptung der icherheitsbehörden – ein Phantom, klug inszeniert als Staatsfeind Nr. 1.

Inhaltsverzeichnis

TEIL I DIE ATTENTATE

1. Ich bombe, also bin ich – Wer ist die „Neue RAF“?
2. Nachrichten aus dem Dunkel – die „Bekennerbriefe“
3. Die „echte“ und die „unechte“ RAF
4. Sympathiebildend und katalysatorisch – die Atlantik-Brücke
5. Heinz Herbert Karry: Schüsse in den Unterleib
6. Edward Pimental: Genickschuß im Stadtwald
7. Alfred Herrhausen: Der Tod des Global Player
8. Das Neusel-Wunder
9. US-Botschaft: Von der Demo bis zum Mord?
10. Mit der RAF für die Treuhand – der Tod des Detlev Karsten Rohwedder
11. Im Fadenkreuz: Das Umfeld und die Nachbarn
12. Terror aus der Zelle – Die Legende der „Zellensteuerung“

Teil II „TERRORISMUS“ UND GEHEIMDIENSTE

13. Geburtshilfe vom Verfassungsschutz
14. Der Fall Siegfried Nonne
15. Kronzeugen: Massig falsche Aussagen
16.Die „RAF-Stasi-Connection“
17.Die unsichtbaren Genossen
18. Kurzer Prozeß für Terroristen
19. PR in Sachen „RAF“
20. Zusammenfassung und Schluß
„RAF“-Attentate
Literatur
Anmerkungen
Register

Rezensionen

„Der neue Tag“, 12.12.1992:

Die sogenannte dritte Generation der terroristischen Rote Armee Fraktion ist nach Ansicht der Autoren und Journalisten Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker eine Legende. Aufgrund ihrer Recherchen kommen sie in ,“Das RAF-Phantom“ (Knaur Verlag, München Taschenbuch 12,90 Mark) zu dem Schluß, daß die dritte Generation der Terroristen nicht mehr ist als eine unbewiesene Behauptung der Sicherheitsbehörden. Die Autoren werfen den Ermittlungsbehörden vor, daß es sich bei allen bisherigen Aussagen im Zusammenhang mit den der RAF seit 1984 zugeschriebenen Morden um nicht mehr als unbewiesene Behauptungen, wenn nicht sogar um mit Bedacht gestrickte Legenden handle. Auch die sogenannten Bekennerschreiben der RAF zu den Anschlägen sind ihrer Meinung nach eher als Fälschungen zu werten.

Und Tatsache ist: Keines der drei spektakulären Attentate ist bis heute aufgeklärt. Gerold von Braunmühl. bundesdeutscher Spitzendiplomat, wird am Abend des 10. Oktobers 1986 auf offener Straße erschossen. Die Autoren sehen hier einen Zusammenhang zwischen dem Inhalt seiner am Tatort geraubten Aktentasche und dem tags darauf stattfindenden Gipfeltreffen von US-Präsident Ronald Reagan mit dem Sowjetführer Michail Gorbatschow in Reykjavik. Von Braunmühl zählte zu den Gegnern des amerikanischen SDI-Projekts, befürchtete vom ,“Krieg der Sterne“ weniger, statt mehr Sicherheit. Die Beteiligung der Deutschen aber war für amerikanische Industrie- und Militärkreise wichtig.

Da ist der Sprengstoffanschlag gegen Chef der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, am 30. November 1989. Er wollte die Krise der Dritten Welt durch einen 50prozentigen Schuldenerlaß auffangen und den zerfallenden osteuropäischen Staaten mit einem Wiederaufbauprogramm unter die Arme greifen. Beides aber sahen mächtige Finanzkreise in Übersee überhaupt nicht gerne. Zum einen hatten Banken jenseits des Großen Teiches längst nicht Rückstellungen in der Höhe für fast schon verlorene Kredite an die Dritte Welt gebildet wie Herrhausens Institut. Ein derartiger Schuldenerlaß hätte sie deshalb ungleich härter getroffen als Herrhausens Bank. Zum anderen wäre Deutschland mit der‘ EG durch ein Aufbauprogramm im riesigen Osten zu einer Macht aufgestiegen, die das bisherige Weltgefüge durcheinander gebracht hätte. Durch Herrhausens Tod ist keines der Globalen Projekte weiterverfolgt worden.
Schließlich: Detlev Karsten Rohwedder: Am 1. April 1991 wurde der Treuhand-Chef in seinem Haus durch das Fenster erschossen. Die Autoren knüpfen hier einen Zusammenhang zum Aufbau oder dem Ausverkauf Ostdeutschlands an ausländische Investoren. Wollte Rohwedder noch ernsthaft marode Betriebe in der früheren DDR sanieren, so läuft seit seinem Tod eine fast schon brutale Privatisierungswelle, an der über Gebühr ausländische Investmentbanken beteiligt sind.
Drei Morde, die an sich nicht ins ideologische Umfeld der RAF passen: Der nachdenkliche Diplomat und SDI-Gegner, der Banker und dessen Schuldenerlaß für die Dritte Welt, der Manager mit dem Willen vom Arbeiter- und Bauernstaat zu retten, was zu retten ist. Drei Morde, mit einer unglaublichen Präzision ausgeführt und bis heute nicht aufgeklärt.

Christiane Ensslin in „Neue Kriminalpolitik“, 3/1993:

Warum gibt es nicht die geringsten Spuren auf die Täter der Morde von Gerold von Braunmühl, Alfred Herrhausen und Detlef Karsten Rohwedder? Wie ist das totale Versagen der ansonsten erfolgreich arbeitenden Verfolgungsbehörden zu erklären? Die drei Autoren entwickeln in ihrem Buch „RAF-Phantom“ eine ebenso spekulative wie spektakuläre Erklärung. Daß das Spektakel ausbleibt, könnte sogar als Beweis für die Richtigkeit ihrer vorgetragenen Thesen interpretiert werden.

Wie die meisten einigermaßen intelligent vorgetragenen Verschwörungstheorien bieten die Autoren ein in sich schlüssiges Gebäude von unmittelbar einleuchtenden Tatmotiven an und leiten daraus die zwangsläufige Erfolglosigkeit bei der Fahndung ab. Das Tatmotiv muß sich einerseits durch die Interessen der herrschenden Machtelite und andererseits mit den politischen Zielen der RAF erklären lassen. Diese erstaunliche Interessenübereinkunft weisen die Autoren an den drei Beispielen von Braunmühl, Herrhausen und Rohwedder – nach.
Derartige Vorhaben können nur durch die aktive Mithilfe diverser Geheimdienste gelingen und sind realiter politische Praxis. Auch in der BRD leistete der Verfassungsschutz 1968 Geburtshilfe für den bewaffneten Kampf. Das „Celler Loch“ und der Mord an Ulrich Schmücker sind bekanntgewordene Fälle der Zusammenarbeit von Terroristen und Geheimdiensten. Die Autoren erinnern an den Vorläufer der Gladio (Terroristen der NATO), den Technischen Dienst. Auf ihrer Todesliste standen Namen von SPDlern aus dem Widerstand gegen Hitler. Als Anfang der fünfziger Jahre hessische Fahnder den Dienst hochgehen ließen, „mußten manche mit Erstaunen feststellen, daß jene Staatsanwälte, die heute so eifrig in Sachen ‚RAF‘ ermitteln, an den beschlagnahmten Akten nicht besonders interessiert waren“. In der Zentrale der britischen Anti-Terror-Einheit SAS – die keine Gefangenen macht – wurde der Chef der GSG 9, Ulrich Wegener, ausgebildet. Man erinnert sich an Mogadischu 1977 und an die Todesschüsse auf Georg von Rauch, Elisabeth van Dyck, Willi Peter Stoll und Rolf Heissler.

Die Autoren skandalisieren die Rolle der Massenmedien beim verantwortungslosen Nachbeten der haltlosesten Behauptungen der Fahndungsbehörden über Tathergang und Bekennerschreiben ohne jede Gegenprüfung. Sie schildern, wie linke Aktionen von rechts instrumentalisiert werden und wie linke Gruppen mit Geheimdiensten paktieren. Weil in diesem Bereich wirklich nichts undenkbar ist – die Autoren führen eine Menge Beispiele dafür an – ist die Lektüre solcher Bücher dennoch letztlich ermüdend. Es entsteht der Eindruck, daß das ganze Weltgeschehen von ein paar Dunkelmännern gelenkt ist, die bei Bedarf einige Schlapphüte als Killkommando ausschicken.

Gleichwohl: Die Leidenschaft der Autoren für die Aufdeckung dieser dunklen Machenschaften entspricht auch einer Sympathie mit den Opfern – fern von jedem politischen Dogma – sie gilt den Ermordeten, den zu Unrecht Beschuldigten und den Gefangenen. In der vereinigten Bundesrepublik wird eine verbissene Stasi-Debatte geführt. Das westliche Pendant aber steht außerhalb des öffentlichen Interesses. Dieses Buch thematisiert u.a. die bundesdeutschen Dienste und es wäre gut wenn es dazu beiträgt, daß Geheimdienstpraktiken, wenn sie schon nicht abgeschafft werden können, so mindestens solche Recherchen fürchten müssen und sich nicht jenseits aller öffentlichen Kontrolle wähnen. Die vielen peinlichen Fragen, die durch diese Recherchen aufgeworfen werden, müssen laut gestellt und die Antworten scharf geprüft werden.

Christiane Ensslin

„Ein unbequemes Buch“

Eine Amazon.de an der Uni-Studentenrezension

Wie der Titel bereits andeutet, beschäftigen sich die Autoren mit zwei Fragen: Welche Beweise gibt es für eine dritte Generation der RAF und wem nutzt die RAF eigentlich?

In ihrem Buch zeigen sie, daß es keine wirklich ernstzunehmenden Beweise gibt, daß noch eine unabhängig agierende RAF existiert. Die Mär von den unverwechselbaren Bekennerbriefen wird von ihnen unter die Lupe genommen und es stellt sich heraus,daß dies nichts als eine Legende ist.
Auch bezweifeln sie, daß bei dem Umfang der Geheimdienstaktivitäten in der BRD eine solche Terrororganisation lange unentdeckt bleiben und sich einer Unterwanderung entziehen könnte.
Bei ihrer Untersuchung der angeblich von der RAF verübten Attentate wird das Fragezeichen immer größer, stellt sich doch heraus, daß ihre Aktivitäten stets einen kontraproduktiven Einfluß hatten und den Todesstoß für progressive Entwicklungen bedeuteten. Besonders ausführlich beschäftigen sie sich mit dem Fall Herrhausen. Akribisch untersuchen sie Motive für seine Ermordung, sowie Pannen im Sicherheitsnetz, die das Attentat erst ermöglichten.Ihre Ergebnisse erlauben mehr als einen starken Zweifel an der Theorie einer RAF Tat.

Das Buch dieser drei Journalisten ist ein überaus faszinierendes Dokument über Macht und ihre Gefahren. Da sie sich auch nicht scheuten, ein Tabu – nämlich die Verstrickung von Politik und Wirtschaft – anzusprechen, mußten sie sich nach der Veröffentlichung des Buches Angriffen von verschiedenen Seiten stellen. (Dies ist eine Amazon.de an der Uni-Studentenrezension.)


Das RAF-Phantom – Leseprobe

Ich bombe, also bin ich – Wer ist die »Neue RAF«?

Glaubt man den Behörden, dann mordete seit etwa 1984 in der Bundesrepublik eine neue »Generation« der sogenannten »Rote Armee Fraktion«, kurz »RAF« genannt. Diese Dritte Generation der »RAF« soll die späte Nachfolge von Andreas Baader und Ulrike Meinhof angetreten haben, die die »RAF« Anfang der siebziger Jahre aus ihrer »Baader-Meinhof-Gruppe« formten. Über zwanzig Jahre lang soll die »RAF« somit mehr oder weniger kontinuierlich gekämpft haben. Gegen diese These spricht fast alles, dafür fast nichts. Zunächst einmal verweisen Gesellschaftsanalytiker auf die völlig veränderte Situation in der Bundesrepublik der achtziger und neunziger Jahre gegenüber der der sechziger und siebziger Jahre. Die Entstehung der »RAF« ist nur aus der extrem aufgeheizten Situation zwischen 1967 und 1970 erklärbar, in der kritische Bevölkerungspotentiale frontal mit der Staatsmacht zusammenprallten. Die Studentenbewegung probte den Aufstand gegen den »tausendjährigen Muff« ihrer Professoren, insbesondere aber erhob sie sich gegen die Nazi-Vergangenheit vieler Politiker und Wirtschaftsführer sowie gegen die Greuel des Vietnamkrieges. Die Studenten sahen darin zwei Seiten ein und derselben Medaille, und auch ausländische Besucher wie der Schah von Persien wurden als Teil dieses reaktionären Systems begriffen.

Der Schah galt als Vasall der kriegslüsternen USA, sein pompöser Empfang in der Bundesrepublik erregte den Zorn der kritischen Öffentlichkeit. Die Auseinandersetzung zwischen Demonstranten und Staatsmacht geriet zur Machtprobe; die »Studenten« wollten eine demokratische Veränderung der Gesellschaft, einen Stop des Vietnamkrieges und eine Entfernung ehemaliger Nazi-Funktionäre aus Amt und Würden. Die Kraftprobe zwischen kritischer Jugend und dem Establishment geriet zur gesellschaftlichen Frage ersten Ranges. Die Studentenbewegung negierte des System, wo sie nur konnte: in ihrer Musik, ihrer Weltanschauung, ihrer Kleidung und Haartracht, dem Gebrauch anderer Drogen und vielem anderen mehr. Hier entstand nicht nur eine Protestbewegung, sondern eine Gegenkultur, die der herrschenden Lebensart diametral entgegengesetzt war. Unter dem Eindruck der Gewalt gegen diese Protestbewegung, insbesondere des Todes des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 und des Mordversuchs an Rudi Dutschke am 11. April 1968, lösten sich einige aus den Diskussions- und Demonstrationszusammenhängen heraus und griffen zur Waffe.

So stellt sich grob verkürzt die Geschichte dieser Protestbewegung zumindest heute dar. Die sogenannte »Kaufhausbrandstiftung« von Andreas Baader und Gudrun Ensslin am 2. April 1968 markiert für viele den Beginn des »Terrorismus« in der Bundesrepublik. Durch den gewaltigen Rechtfertigungsdruck, den solche Aktionen bei kritischen Bevölkerungspotentialen schufen, markierten sie gleichzeitig den Anfang vom Ende der Protestkultur und ihr Versinken in der Lähmung des Terrors. Zum ersten Mal hatten sich die Gründer der »RAF« an die Spitze einer Protestbewegung gesetzt und sie damit zum Tode verurteilt. Dieser Vorgang sollte sich in Zukunft noch mehrfach wiederholen.

Der kurze Kampf der frühen »RAF«

Im Unterschied zur heutigen »Dritten Generation« der »RAF« war die »RAF« der ersten Jahre keineswegs ein Phantom, sondern stets im Fadenkreuz der Fahnder. Ihre Geschichte ist nicht nur eine Geschichte von Terror-Anschlägen, sondern auch von Observationen, Schußwechseln, Festnahmen und schließlich Prozessen. Die Geschichte der »RAF« ist eine Geschichte der andauernden, direkten Konfrontation zwischen den Untergrundkämpfern und Staatsorganen, die meistens genau wußten, mit wem sie es zu tun hatten. Ein Wissen, das sehr bald zur Verhaftung führte.

Nach der Baader-Befreiung am 14. Mai 1970 schaffte es der harte Kern der »RAF«, gerade zwei Jahre, im Untergrund zu überleben. Der eigentliche »Kampf« der Truppe um Andreas Baader und Ulrike Meinhof dauerte nur wenige Wochen. Nach dem ersten Bombenanschlag der selbsternannten Revolutionäre am 11. Mai 1972 vergingen noch genau 20 Tage, bis die Festnahmewelle begann: Am 1. Juni 1972 Andreas Baader, Jan Carl Raspe und Holger Meins. Am 7. Juni Gudrun Ensslin, am 9. Juni Brigitte Mohnhaupt, am 15. Juni Ulrike Meinhof und Gerhard Müller und am 7. Juli Irmgard Möller und Klaus Jünschke. Damit war der bewaffnete Kampf der ersten »RAF«-Generation gescheitert, bevor er richtig begonnen hatte. Diese Erfolge der Behörden waren keineswegs Zufall, sondern auf das reibungslose Funktionieren des Fahndungsapparates und die hoffnungslose Unterlegenheit der »Terroristen« zurückzuführen. Bereits gegen einen im Vergleich zu heute bescheidenen Polizei- und Gesetzesapparat hatten die autodidaktischen Untergrundkämpfer nicht die leiseste Chance.

Die Beamten spielten statt dessen Katz und Maus mit den Gesuchten. So observierten sie vor der Festnahme von Baader, Raspe und Meins am 1 . Juni 1972 tagelang das zentrale Sprengstofflager der Gruppe in einer Frankfurter Garage. Zur Sicherheit tauschten die Fahnder den Sprengstoff unbemerkt gegen harmlose Chemikalien aus. Wenig später ging ihnen dort fast die gesamte Gruppe ins Netz.

Auch als sich 1973 die sogenannte »Gruppe 4.2.« auf den Kampf im Untergrund vorbereitete, saßen Staatsbeamte auf Logenplätzen. Der Trupp galt als »der erste Nachfolger der ursprünglichen RAF«. Der Terror-Nachwuchs brachte es nicht weit, Staatsbehörden waren bei den ersten Gehversuchen der »RAF«-Nachfolger ganz in der Nähe. Der Verfassungsschutz observierte die Gruppe über Monate hinweg und hörte sogar die Telefonzelle ab, über die die Mitglieder kommunizierten. Die Untergrundkämpfer konnten die Observationsteams nicht abschütteln. Aus einer Mülltonne heraus gelangen dem Verfassungsschutz brillante Fotos der Gruppenmitglieder Ilse Stachowiak und Helmut Pohl. In der Nacht zum 4. Februar 1974 überraschte die Polizei die Gruppe im Schlaf. Alle Mitglieder wurden verhaftet.

Auch die Top-Terroristen der zweiten Generation standen unter hautnaher staatlicher Überwachung. Kurz vor den Hamburger Bürgerschaftswahlen 1977 gelang es dem Verfassungsschutz, Christian Klar und Adelheid Schulz in einem Hamburger Lokal zu observieren. Unauffällig wurde das Lokal verwanzt, es gelang, die Gespräche der beiden auf Tonband zu bannen. Wo das Duo seine Wohnung hatte, fanden die Verfassungsschützer ebenfalls heraus. Auch sie wurde mit Wanzen gespickt, die Gespräche auf Tonband aufgezeichnet. Indes: Eine Festnahme erfolgte nicht, Klar und Schulz setzten sich plötzlich ab.

Das nächste Mal war das Bundeskriminalamt der Terror-Clique nur ein Jahr später auf der Spur. 1978 machten BKA-Beamte Fotos von Christian Klar, Adelheid Schulz und Willy-Peter Stoll, als diese gerade einen Hubschrauber bestiegen, um eine Gefangenenbefreiung vorzubereiten. Zur Verhaftung kam es wieder nicht, begründet wurde dies mit einer »Fahndungspanne«.

Dies sind indessen nur die Fälle, die an die Öffentlichkeit kamen. Wie oft staatliche Behörden die Terroristen tatsächlich im Visier hatten, ohne sie festzunehmen, ist nicht bekannt. Sicher ist folgendes: »Hier hat man es ja gestattet, auch mit Mitwirkung des Bundeskanzlers Helmut Schmidt und mit Mitwirkung des Ministers Baum, die Terroristen Klar und Schulz, die der Hamburger Verfassungsschutz ins Visier bekommen hatte, der Polizei zu entziehen. ( … ) Die Verfassungsschützer und Politiker machen dann Geschäfte mit Dingen … das ist alles so unerträglich.« Minister, die gesuchte Terroristen der Strafverfolgung »entziehen« – wenn das keine radikale Ansicht ist! Sie stammt allerdings nicht von irgendwelchen »Systemveränderern«, sondern von Horst Herold, dem ehemaligen Präsidenten des Bundeskriminalamtes. Er ist davon überzeugt, daß es hätte gelingen können, den Terrorismus bereits 1977 oder 1978 vollständig zu zerschlagen – wenn der politische Wille vorhanden gewesen wäre. Eine Auffassung, die angesichts der hautnahen Observationen nachvollziehbar ist.


November 2012: 20 Jahre „RAF-Phantom“

„Das RAF-Phantom“: Ein Buch schrieb Journalismus-Geschichte

Kaum ein Buch erregte solches Aufsehen und rüttelte derart die Republik durcheinander, wie „Das RAF-Phantom“ von Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker. Schon bei seinem Erscheinen machte es Furore. Am 27. November 1992 eerschien im Süddeutsche Zeitung Magazin eine Titelgeschichte, in der der Autor Gerhard Wisnewski behauptete, der deutsche Top-Banker Alfred herhausen sei nciht von der „RAF“ ermordet worden. Einen oder zwei Tage vorher gab es einen Pressekonferenz mit dem damaöligen Droemer-Knaur-Verlagschef Karl Blessing. twa 20 medienkollegen sassen mit einer Mishcung aus Unglauben und Langewiele bei der Pressekonferenz herm und fassten das vorgestellte Buch mit ganz spitzen Findgern an. Am meisten schlug der SZ-Artikel ein. Auf einen Schlag war das Buch ausverkauft und wochenlang eines de rmeistgefargten Bücher auf dem markt. Insgesamt erlebte diese erste Ausgabe etwa 14 oder 16 Auflagen.

Am 27. November 2012 jährt sich das Erscheinen des Buches „Das RAF-Phantom“ zum 20. Mal.


RAF – Die dritte Generation

Sündenböcke für ganz andere Täter?

Sie wurden als Mörder beschimpft und als Ratten. Jahrelang schauten sie an allen Postämtern und Bahnhöfen von den Fahndungsplakaten herab. Sie sollten Alfred Herrhausen umgebracht haben und Detlev Rohwedder. Sie haben angeblich Karl-Heinz Beckurts in die Luft gesprengt und Gerold von Braunmühl erschossen: die Angehörigen der sogenannten 3. Generation der „RAF“. Inzwischen weiß man: nichts von alledem stimmt. In Wirklichkeit waren sie wohl nur Sündenböcke für ganz andere, bis heute unbekannte Täter.

Die sogenannte „Dritte Generation“ der „RAF“ zerbröselt seit Jahren unter den Händen der Sicherheitsbehörden. Der über lange Jahre als Top-Mann der Untergrundorganisation angesehene Christoph Seidler zum Beispiel, stellte sich im Herbst 1996 den Behörden. Er konnte glaubhaft machen,daß er an keinem der „RAF“-Attentate der letzten Jahre beteiligt war. Der Haftbefehl wurde aufgehoben. Spätestens 1998 brach dieTheorie von der 3. „RAF“-Generation endgültig in sich zusammen: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ in einer vertraulichen Analyse über die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) Zweifel daran geäußert, daß einige der per Haftbefehl gesuchten angeblichen RAF-Mitglieder überhaupt jemals zu der terroristischen Gruppe gehört haben. So zähle der in Wien erschossene Horst Ludwig Meyer, der als eines der gefährlichsten Mitglieder der Kommandoebene gegolten habe, möglicherweise gar nicht „zum Kreis der Illegalen“. Lebendig wird er davon nicht mehr. „Hinsichtlich der mit Haftbefehl gesuchten mutmaßlichen RAF-Angehörigen Sabine-Elke Callsen, Andrea Klump, Barbara Meyer, Horst Ludwig Meyer“ hätten sich mittlerweise „Zweifel an der tatsächlichen Zugehörigkeit zum Kreis der Illegalen ergeben“. In den Haftbefehlen der Bundesanwaltschaft werden den Gesuchten Mitgliedschaft in der RAF sowie mehrere Mordanschläge vorgeworfen.

Die hier veröffentlichten Biographien sind selbstredend weder vollständig,noch müssen sie richtig sein, da sie sich zum Teil auf Angaben des Bundeskriminalamtes beziehen. Noch steht fest, daß dies alle Personen sind, die im Zuge des „Terrorisierungsprozesses“ der Linken verschwanden, auswanderten oder vielleicht sogar ermordet wurden.

Callsen, Sabine Elke

„Geboren am 18. März 1969 in Hannover. Neben verschiedenen Teilzeitbeschäftigungen studierte sie ab 1981 Tibetologie und Pädagogik an der Universität Hamburg.Verschwand 1984. Gilt als eine der letzten Untergetauchten der sogenannten 3. Generation. Mit ihrem Auftauchen ist wohl in nächster Zeit zu rechnen.“

Die obigen Zeilen schrieb ich am 8.10.2001. Eineinhalb Jahre später, am 7. März 2003, stellte sich Sabine Callsen in Frankfurt. Von wegen „RAF“: Stattdessen hatte die 42jährige fast 20 Jahre im Nahen Osten gelebt und dort zwei Kinder zur Welt gebracht. Der Haftbefehl vom 16. Dezember 1985n (!) wurde noch am 7. März 2003 gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt.

Grams, Wolfgang Werner

Geboren am 6. März 1953 in Wiesbaden. Von 1972 bis 1974 war er an der Universität Frankfurt für ein Lehramtsstudium eingeschrieben, wurde nach Angaben des BKA jedoch exmatrikuliert. Verschwand 1984. Am 27. Juni 1993 wurde Wolfgang Grams zusammen mit der ebenfalls als „RAF“-Terroristin gesuchten Birgit Hogefeld in Bad Kleinen (Mecklenburg-Vorpommern) „gestellt“ und von Polizeibeamten erschossen. Entsprechende Beweismittel wurden jedoch vernichtet. Die Erschießung von Grams gilt bis heute als „Selbstmord“. Die Vorgänge führten zu einer Staatskrise (siehe das – leider vergriffene- Buch „Operation RAF“ von Landgraeber, Sieker, Wisnewski).

2001 wird die vielseitig verwendbare Leiche Grams zum zentralen Sündenbock der Dritten Generation aufgebaut. Die Taten der Dritten Generation werden teils explizit, teils implizit auf Grams verdichtet. Er wird verantwortlich gemacht für folgende ungeklärte Mordfälle:

– Michael Newrzella, 27.6.1993 Bad Kleinen (laut Behörden)
– Wolfgang Grams, 27.6.1993 Bad Kleinen (laut Behörden)
– Detlev Karsten Rohwedder (verdächtig wg. angebl. Haarfund)
– Alfred Herrhausen (Verdacht wird durch Medien nahegelegt, Film „Black Box BRD“)

Der angebliche Topterrorist wird von seiner verhafteten Lebensgefährtin Hogefeld wie folgt charakterisiert: Nach ihrer Kenntnis war Grams „ein sehr ruhiger, eher in sich gekehrter Mensch. Schon an seiner Art sich zu bewegen, war ihm anzumerken, daß Hektik und jede Form von Streß seinem Naturell zuwider lief.“

Die angebliche „RAF“ rühmt in einem Schreiben (dessen Echtheit wie immer nicht verifizierbar ist) »seine Skepsis gegenüber vorschnellen Entscheidungen,seine Geduld, etwas auch mehr als einmal zu hinterfragen, was von allen anderen Genauigkeit in der Auseinandersetzung gefordert hat und was nicht immer bequem war – damit hat er z. B. dafür gesorgt, alle Aspekte der Situation oder der eigenen Vorstellung anzusehen und nicht nur dieAspekte wahrzunehmen, die einen selbst bestätigen.«

Hogefeld, Birgit Elisabeth

Geboren am 23. Juli 1956 in Wiesbaden. Studierte von 1975 bis 1977 Jura in Frankfurt am Main (ohne Abschluß). Danach war sie als Orgel-Lehrerin tätig.

Verschwand 1984. Am 27. Juni 1993 wurde Hogefeld bei der Polizeiaktion in Bad Kleinen festgenommen.Sie wurde des sechsfachen Mordversuchs und vierfachen Mordes angeklagt – auch an dem in Bad Kleinen wahrscheinlich irrtümlich von seinen Kollegen erschossenen Polizeibeamten Newrzella. Nach einem rechtsstaatlich abenteuerlichen Prozeß wurde sie 1996 zu lebenslanger Haft verurteilt – wegen angeblicher Teilnahme an verschiedenen „RAF“-Anschlägen. In Wirklichkeit beruht das Urteil auf windigen und dünnen Beweisen, weshalb es auch mit Hogefeld nicht gelingt, die Existenz einer 3. Generation der „RAF“
zu beweisen.

Im Jahr 2001 ist Hogefeld aufgrund der angeblichen Verstrickungen ihres toten Lebensgefährten Grams in die Attentate auf Rohwedder und Herrhausen wieder in den Blickpunkt von Fahndung und Öffentlichkeit gerückt.

Klump, Andrea Martina

Geboren am 13. Mai 1957 in Wiesbaden, wohnte bis zu ihrem Verschwinden in Frankfurt. Von 1976 bis 1981 studierte sie dort Völkerkunde mit Soziologie und Politikwissenschaft. Sie brach das Studium ab. Verschwand im Juli 1984. Andrea Klump wurde am 15. September 1999 in Wien verhaftet und am 23. Dezember 1999 nach Deutschland ausgeliefert. Ihr Begleiter Horst Ludwig Meyer wurde dabei erschossen. Die Hauptanklage gegen sie und ihren angeblichen Komplizen Christoph Seidler, die angebliche Beteiligung am Attentat auf Alfred Herrhausen, brach zusammen, als der sie belastende Kronzeuge Siegfried Nonne seine Aussagen in einem Fernsehbeitrag der Autoren des Buches „Das RAF-Phantom“ widerrief. Heute sagt sie: „Ich war nie in der RAF organisiert.Weder in der Zeit von meinem Weggehen im Juli 1984 bis 1986 – noch und erst recht nicht zu irgendeinem späteren Zeitpunkt.

Die BAW [Bundeswanwaltschaft; G.W.] will sich nicht damit abfinden, dass sie bis heute Anschläge der RAF aus den 80er Jahren nicht personell zuordnen und noch offene Akten nicht schließen kann. Um diesem Ziel politisch dennoch näher zu kommen, will die BAW mich wider besseres Wissen als Mitglied der RAF verurteilt sehen.“

2001 wurde Klump doch noch zu einer Haftstrafe verurteilt, und zwar wegen eines gescheiterten Anschlages im spanischen Rota.

Am 28. September 2004 wurde Klump vom Oberlandesgericht Stuttgart zu einer neuen Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Angeblich war sie an einem Sprengstoffanschlag auf jüdische Auswanderer aus Rußland in Budapest am 23. Dezember 1991 beteiligt, bei dem vier Businsassen leicht und zwei ungarische Polizisten schwer verletzt wurden.

Wobei sich die Frage stellt, warum angeblich linke „RAF-Terroristen“ Anschläge auf jüdische Aussiedler verüben sollten? Oder war Klump gar nicht links, sondern rechts? Ähnliche Fragen gibt es auch in bezug auf Wolfgang Grams.

Tatsache bleibt jedenfalls, daß bis heute der Beweis fehlt, daß Klump an einem der Anschläge der sog. 3. Generation der „RAF“ mitgewirkt hat.

Webpage von Andrea Klump
[ist 2005 nicht mehr zu erreichen; G.W.]

Krabbe, Friederike

Geboren am 31. Mai 1950 in Bentheim. Studierte von 1970 bis 1973 in Berlin und Heidelberg Psychologie, Pädagogik und Soziologie, von 1973 bis 1976 in Heidelberg Medizin (jeweils ohne Abschluß). Schloß sich über das Heidelberger „Sozialistische Patientenkollektiv“ (SPK) der „RAF“ an und gehört damit eigentlich zur zweiten Generation. Verschwand 1975 und gilt demnach als eine „Altverschwundene“ der sogenannten „RAF“. Die Zeugin Monika von Seckendorff hat am 26. 10. 1997 in der Hauptverhandlung gegen die angebliche „RAF“-Unterstützerin Monika Haas ausgesagt, daß sie nach der Entführung Dr. Schleyers 1977 in einem kleinen Haus in Bagdad zusammen mit Friederike Krabbe und Elisabeth von Dyck gewohnt habe.Danach scheint sich Krabbes Spur zu verlieren. Über das Schicksal von Friederike Krabbe seither ist nichts bekannt.

Meyer, Barbara

Geb. Metzger, geboren am 2. Juli 1956 in Stuttgart, Ehefrau des ebenfalls gesuchten (und inzwischen erschossenen) Horst Ludwig Meyer. Nach vorzeitigem Abgang von der Realschule arbeitete sie zunächst als Telefonistin, dann als Verkäuferin und lebte zuletzt angeblich von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Verschwand 1984. Gegen Meyer wurde unter anderem ermittelt, weil sie 1985 bei einem Überfall auf einen Geldboten bei Tübingen beteiligt gewesen sein soll. Sie stellte sich im Mai1999 bei der Deutschen Botschaft im Libanon. Barbara Meyer konnten Straftaten jedochnicht mit Sicherheit nachgewiesen werden. Im Oktober 1999 wurde sie aus der Untersuchungshaft entlassen. Die Hinweise würden nicht für eine Anklage reichen, teilte die Bundesanwaltschaft im Dezember 2000 in Karlsruhe mit. Im Dezember 2000 stellte der Generalbundesanwalt sämtliche Ermittlungen gegen sie ein. Ihr früherer Ehemann, der mutmaßliche RAF-Terrorist Horst Ludwig Meyer, war Mitte September 1999 in Wien von der Polizei erschossen worden.

Meyer, Horst Ludwig

Geboren am 18. Februar 1956 in Villingen-Schwenningen. Nach Abschluß einer Lehre als Starkstromelektriker arbeitete er bei verschiedenen Firmen in Stuttgart. Zuletzt lebte er angeblich von Arbeitslosen- und Sozialhilfe. Verschwand 1984. Über sein Schicksal war lange Zeit nichts bekannt, bis er am 15. September 1999 in Wien zusammen mit Andrea Klump unter dubiosen Umständen gestellt und erschossen wurde. Siehe auch unter Texte. Da er genau wie andere angebliche Angehörigeder 3. „RAF“-Generation (Seidler, Klump, Barbara Meyer) seit Jahren im Libano nlebte, ist davon auszugehen, daß auch Horst-Ludwig Meyer mit der „RAF“ in Wirklichkeit wenig oder nichts zu tun hatte. Nach einer Analyse des Verfassungsschutzes zählte der erschossene Horst Ludwig Meyer, der als eines der gefährlichsten Mitglieder der Kommandoebene gegolten hatte, möglicherweise gar nicht „zum Kreis der Illegalen“. Dafür spricht auch, daß sich seine Lebensgefährtin Andrea Klump vehement und glaubwürdig von der „RAF“ distanziert hat und letztlich nicht einmal wegen „RAF“-Mitgliedschaft verurteilt werden konnte. Vor diesem Hintergrund ist die Mitgliedschaft ihres Lebensgefährten Meyer in der „RAF“ oder gar ihrer „Kommandoebene“ ebenso unwahrscheinlich. Die näheren Umstände seines Todes, die an die Vorfälle von Bad Kleinen erinnern, wären daher eine Untersuchung wert.

Seidler, Christoph Eduard

Geboren am 13. Januar 1958 in Heidelberg. Absolvierte 1977 das Abitur an einem Gymnasium in Freiburg und arbeitete dort anschließend als Krankenpfleger. Während eines Studiums der Politikwissenschaften von 1989 bis 1984 in Frankfurt jobbte er als Taxifahrer. Verschwand 1984. Stellte sich am 22. November 1996 den Behörden und wurde wenige Stunden später wieder freigelassen. Der Hauptvorwurf gegen ihn und seine angebliche Mittäterin, die angebliche Beteiligung am Attentat auf Alfred Herrhausen, war schon Jahre zuvor zusammengebrochen, als der ihn belastende Kronzeuge Siegfried Nonne seine Aussagen in einem Fernsehbeitrag der Autoren des Buches „Das RAF-Phantom“ widerrief.


Archiv: News um die „RAF“ vom Feb 2001 bis Juni 2001

Anmerkung des Herausgebers:

Im folgenden lesen Sie Einträge von meiner RAF-Phantom-Seite, die zwischen Februar 2001 und Juni 2001 entstanden, also in den Monaten vor dem 11. September 2001.

Damals waren die Ereignisse rund um die sogenannte „RAF“ und vor allem deren 3. Generation für mich der größte Skandal, den ich mir vorstellen konnte. Da hatte ich noch keine Ahnung, daß dieser Phantomterrorismus schon bald von einem viel größeren, globalen Phantomterrorismus abgelöst werden sollte: Den Attentaten des 11. September 2001.

Das Thema Terrorismus schien in diesen Monaten für Viele längst kein Thema mehr zu sein. Die „RAF“ hatte 1992 in einem dubiosen „Kündigungsschreiben“ ihre „Auflösung“ erklärt, in den Jahren danach erschienen alle möglichen Filmchen über die „RAF“. Das BKA und die Bundesanwaltschaft bemühten sich, den in Bad Kleinen getöteten Wolfgang Grams posthum zum Haupttäter der 3. Generation zu befördern. Allseits war man also mit untauglichen Versuchen der Aufarbeitung und Interpretation der Vergangenheit beschäftigt. Kaum jemand ahnte, daß man sehr bald noch sehr viel mehr Stoff für künftige Aufarbeitungsprojekte bekommen sollte.

Noch ein Hinweis: Viele Artikel habe ich damals noch nicht datiert, meistens können Sie das Datum jedoch aus dem Zusammenhang ziemlich genau rekonstruieren. Naturgemäß sind viele Links nicht mehr in Betrieb. Aus den Links können Sie jedoch häufig das Datum des jeweiligen Refernz-Artikels erfahren. Auch bieten die zitierten und verlinkten Medien häufig eine Archivsuche an.

Es grüßt Sie herzlich, Ihr

Gerhard Wisnewski

12.10.2005

 

27.6.2001: Acht Jahre Bad Kleinen

Bingo, Herr Grams!

Der Meisterschütze von Bad Kleinen und seine Trefferquoten

Wer konnte am besten schießen in Bad Kleinen? Der „Terrorist“ Grams oder die Polizei? Die Antwort scheint nicht schwer zu fallen, immerhin waren dort nicht nur Beamte des BKA, sondern auch der sagenumwobenen Truppe GSG 9 versammelt. Deren Schießausbildung ist vom Allerfeinsten. Schießen aus Hubschraubern und fahrenden Kraftfahrzeugen steht ebenso auf ihrem Trainingsplan wie Schießen mit Zielfotogerät in realistischen Geisellagen oder Combat-Schießen bei verschiedenen Beleuchtungseffekten und bei Dunkelheit. Die Trefferquote beim Hubschrauberschießen liegt in der Regel bei 85 Prozent.

Obwohl also eigentlich klar sein sollte, wer die Meisterschützen am 27. Juni 1993 in Bad Kleinen waren, war alles natürlich ganz anders. Laut Bundesregierung sollen die Supermänner in Bad Kleinen rein gar nichts getroffen haben. Die im Combat-Schießen (also im gezielten Todesschuß) ausgebildeten Männer sollen Wolfgang Grams nur unerheblich verletzt haben, und ihren eigenen Mann Newrzella sollen sie selbstverständlich auch nicht erledigt haben. Irgendwie versagte das ganze Schießtraining in Bad Kleinen, und der eigentliche Meisterschütze ist deshalb kein Mitglied der Super-Anti-Terror-Truppe, sondern – wir ahnen es – Wolfgang Grams.

Locker spielt er mit seiner Czeska 75 die ganze Edeltruppe an die Wand und degradiert sie allesamt zu Sonntagsschützen. Der ehemalige Taxifahrer und Hausbesetzer entwickelte wahre James-Bond-Qualitäten.

Alles in allem vollbringt Grams folgende Meisterleistungen:

1. Als er, durch GSG 9-Beamte im Fußgängertunnel aufgeschreckt, die Treppe zum Bahnsteig 3/4 hochrennt, dreht er sich, oben angekommen, um und feuert aus der Drehung heraus mehrmals in den Treppenschacht hinein. Und das in einem Moment, als ihn der verfolgende GSG 9-Mann Newrzella fast schon ergriffen haben soll. Wer sich aus vollem Lauf umdreht, kommt jedoch zwangsläufig dabei zum Stehen. Newrzella hätte Grams also in diesem Moment ergreifen können.

Doch lassen wir diese kleinlichen Zweifel. Aus der Drehung heraus trifft Grams vielmehr den rennenden GSG 9-Mann Newrzella in den 5er Bereich. Das ist beim Combatschießen der absolut tödliche Bereich, bei dem mehrere Lebensadern gleichzeitig zerstört werden können (Herz/Aorta, Luft-,Speiseröhre, Wirbelsäule). Bingo, Herr Grams!

2. Gemach, gemach. Das ist ja noch nicht alles. Vielmehr schaffte es Grams, in der Verfolgungssituation noch zwei weitere Treffer bei dem rennenden Newrzella anzubringen, nämlich in den Beinen und im Gesäß. Und während der Treffer in die Brust einen schrägen Schußkanal von oben nach unten aufweist, sind die Schußkanäle in den Beinen und im Gesäß waagerecht. Mal ganz davon abgesehen, wie man es schafft, von vorne zu schießen und den Gegner in den HIntern zu treffen.

Das alles ist noch nie dagewesen, sollte man meinen. Doch, doch, war es schon. Sowas nennt man Magic Bullet (magische Kugel). Zu solchen Phänomenen kommt es immer dann, wenn Polizeibehörden einen Attentatsverlauf zusammenlügen, pardon, erklären. Daß Kugeln fliegen können wie die Brummkreisel ist erwiesen, seit bei dem Attentat auf John F. Kennedy ein einziges Geschoß gleich mehrere Kurven drehen und verschiedene Personen treffen konnte.

3. Solche Kabinettsstückchen sind für Grams aber nur die Vorspeise. Darüberhinaus soll er auch noch die Newrzella nachfolgenden Beamten mit drei Schüssen getroffen haben, zusammen mit den drei Treffern bei Newrzella macht das sechs.

4. Doch der siebte folgt sogleich. Als nächstes setzt er (immer laut staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen), als er rückwärts vom Bahnsteig fällt, die Waffe an, schießt sich in den Kopf und ist sofort tot. Treffer Nr. 7.

Gesehen hat das übrigens niemand, nicht mal die GSG 9-Beamten, die ihren Gegner doch im Visier gehabt haben müssen. Gesehen haben dagegen mindestens zwei Personen, wie Grams von GSG 9-Beamten auf dem Bahnsteig erschossen wurde. Aber da ein deutscher Staatsanwalt natürlich weiß, daß das nicht sein kann, muß es einfach ganz anders gewesen sein: Auf dem Bahnsteig hat Grams noch gelebt, auf dem Gleis war er tot. Deswegen gibt es nur eine Erklärung: Irgendwo dazwischen muß er sich ganz einfach selbst erschossen haben – also im Fallen.

Und das ist dann sozusagen die finale Meisterleistung. Denn normalerweise ist das so ziemlich ausgeschlossen. Vielmehr wird ein rückwärtsfallender Mensch zunächst reflexartig die Arme ausbreiten. Um diesen Reflex zu unterdrücken, den Entschluß zum Selbstmord zu fassen und durchzuführen, bedarf es komplexer kognitiver und bilanzierender Vorgänge.

Daß diese in jenen Sekundenbruchteilen des Fallens ablaufen und zu einem „todsicheren“ Ergebnis führen können, dürfte normalerweise ausgeschlossen sein: Viele Selbstmörder treffen schon in einer Ruheposition nicht richtig, da sie die Waffe nicht unbedingt senkrecht auf den Schädel kriegen, aufgeregt, widersprüchlich sind etc. So zielen sie mitunter an den lebenswichtigen Zentren vorbei und brauchen mehrere Schüsse, werden nur schwer verletzt etc. Nach Untersuchungen in den USA beträgt die Überlebensrate bei Selbstmordversuchen mit Schußwaffen 10 bis 30 Prozent. 1994 überlebte in Massachussetts jedes dritte Opfer einer selbst beigebrachten Schußwaffen-Verletzung zumindest den Transport ins Krankenhaus. 16 Prozent überlebten den Schußwaffenangriff auf sich selbst langfristig. All diese Angriffe wurden natürlich nicht in einer Extremsituation im Rückwärtsfallen und nach einem Schußwechsel mit zahlreichen Gegnern durchgeführt.

Eine zusätzliche Schwierigkeit dürfte das Beharrungsvermögen und damit die Manövrierfähigkeit der Waffe im Fallen sein. Eine geladene Czeska 75, mit der Grams geschossen haben soll, wiegt mehr als ein Kilogramm. Der Schütze hat also im Fallen das Äquivalent einer vollen Milchtüte oder Einliter-Wasserflasche millimetergenau zu manövrieren.

Ein Schelm, wer da ins Zweifeln kommen wollte. Die Bad Kleinen-Ballerstatistik beweist nämlich, daß es sich bei Grams ganz einfach um einen Ausnahmeschützen handelte.

Da sich nach der Schießerei in der Grams zugeschriebenen Waffe noch fünf Schuß befunden haben sollen (vier im Magazin und einer im Patronenlager), kann er maximal elf Schüsse abgefeuert haben. Das Magazin der von ihm angeblich benutzten Czeska 75 faßt 15 Schuß. Bei sieben Treffern (zwei davon Volltreffer, bei sich und Newrzella) wäre das dann eine Trefferquote von über 63 Prozent.

Schauen wir uns zum Vergleich die Bilanz der Supertruppe GSG 9 an. Von angeblich insgesamt 33 abgefeuerten Schüssen sollen die wackeren Mannen bei Grams fünf Treffer erzielt haben. Im Gegensatz zu Grams brachten sie dabei keinen Volltreffer an. Alles in allem macht das nicht etwa die übliche GSG 9-Trefferquote von 85 Prozent, auch nicht die 63 Prozent von Wolfgang Grams, sondern nur 15 Prozent.

Und damit können wir die GSG 9 wohl endgültig von allen Mordvorwürfen entlasten. Denn das ist nun endlich der Beweis, daß sie gegen einen Pistolenhelden wie Wolfgang Grams gar nichts ausrichten konnte.

BLACK OUT BRD

Außen emotional, innen hohl

Der Film Black Box BRD bietet ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie man es schafft, ein hochbrisantes Thema anzufassen, ohne eine der brenzligen Fragen auch nur zu streifen. Fast schon peinlich, wie sich die Autoren durch dieses politische Minenfeld bewegt haben, oder besser: wie sie darüber hinweg geschwebt sind. Da haben sie nun wichtige Freunde und Angehörige eines angeblichen „RAF“-Täters und -Opfers vor die Kamera bekommen und bringen es fertig, von ihnen eigentlich nichts wissen zu wollen. Zum Beispiel:

– wer ihrer Meinung nach die Täter im Fall HH waren
– wie sie sich die notorische Fahndungsmisere erklären
– welche Feinde HH eigentlich wirklich hatte

Eine wirkliche und authentische „RAF“ kann nicht zu seinen Feinden gezählt haben, denn HH verfolgte zum Zeitpunkt seines Todes eines der wichtigsten Ziele der Linken: die Entschuldung der Dritten Welt. Die selbsternannten Revolutionäre hätten sich glatt ihren wichtigsten Verbündeten im Establishment weggebombt. Wir dürfen das HH-Attentat jedoch nicht für einen Akt der Dummheit halten – dafür steckte in seiner Ausführung viel zuviel Intelligenz.

Der Film Black Box BRD wird von keinerlei Erkenntnis- oder Vermittlungsinteresse geleitet. Er will nichts verstehen und auch nichts erklären. Er will nur eins: Er will Herrhausen und Grams in Zusammenhang bringen. Black Box BRD erweckt den durch nichts zu rechtfertigenden Eindruck, HH und der angebliche „RAF“-Mann Grams hätten etwas miteinander zu tun gehabt. Er tut dies durch die Auswahl der Personen und das Kinoplakat, auf dem die Konterfeis von HH und Grams verschmelzen. Die Kombination Grams/HH erweckt einen Eindruck, der sich durch keine Ermittlungsergebnisse rechtfertigen läßt und der sich nur schwer wieder auffangen läßt – auch dann, wenn man den Film gesehen hat. Denn entscheidend ist, was hängenbleibt, vor allem auch bei der großen Mehrzahl der Leute, die von dem Film nur GEHÖRT oder GELESEN hat. Denn was übrigbleiben wird von diesem hohlen Werk, ist: Das Herrhausen-Attentat, das war doch irgendwie Grams, da gabs doch mal ’nen Film. Das ist die einzige wirkliche (und durch nichts gestützte) Botschaft des Films – ist dies auch sein einziger Sinn?

Möglich, denn die lange Liste der Förderanstalten im Abspann beweist, daß Black Box BRD in jeder Hinsicht politisch willkommen gewesen sein muß.

Die vielseitig verwendbare Leiche Grams hat mit diesem Film eine erstaunliche Karriere gemacht. Grams kommt nun in Frage für folgende Tötungsdelikte:

– den Polizeibeamten Michael Newrzella in Bad Kleinen 1993
– sich selbst in Bad Kleinen 1993
– Detlev Karsten Rohwedder 1991 (durch angebl. gefundene Haare)
– Alfred Herrhausen 1989

Die letzten beiden Verdachtsmomente werden nicht explizit geäußert, aber der Öffentlichkeit durch angeblich gefundene Beweismittel (Haare von Grams) oder propagandistische Gegenüberstellungen (Black Box BRD) nahegelegt. So wird aus einer Leiche ein Topterrorist, und in dieses Schauspiel paßt Black Box BRD als kleines Rädchen im Uhrwerk bestens hinein.

In Wirklichkeit ist die Täterschaft Grams‘ in keinem einzigen dieser Fälle erwiesen, und zwar aufgrund massiver Beweismittelmanipulation durch das Bundeskriminalamt am Tatort Bad Kleinen. Es gibt eigentlich keinen Grund anzunehmen, daß das BKA im Fall Grams neuerdings sauber ermittelt und der angebliche Haar-Beweis Hand und Fuß hat. Im Gegenteil ist zu befürchten, daß das BKA mit seiner Beweismittelmanipulation fortfährt, um Grams zum Kerntäter der nebulösen Dritten Generation zu machen. Über Grams können die Fahnder das Blaue vom Himmel herunter behaupten, da ihre Beweise aufgrund des Todes des Beschuldigten keinem Gerichtsverfahren standhalten müssen. So werden möglichst viele der Taten der Dritten Generation in der Person Grams gebündelt, um den Eindruck der Aufklärung zu erwecken. In Wirklichkeit ist gar nichts aufgeklärt, nicht einmal, wer Wolfgang Grams und Michael Newrzella am 27. Juni 1993 wirklich erschoß.

Interessant ist übrigens, was seine Lebensgefährtin Birgit Hogefeld in einem Porträt über ihn schrieb. Nach ihrer intimen Kenntnis war Grams „ein sehr ruhiger, eher in sich gekehrter Mensch. Schon an seiner Art sich zu bewegen, war ihm anzumerken, daß Hektik und jede Form von Streß seinem Naturell zuwider lief.“

Sieht so ein Guerillakämpfer aus, der nicht nur perfekte Attentate ausklügelt, sondern auch die kleine Unbequemlichkeit auf sich nimmt, von einem der effektivsten Fahndungsapparate der Welt gejagt zu werden? Natürlich nicht.

Erst wenn man dieses Porträt genauer liest, merkt man, wie schlampig es zusammengefummelt wurde und wieviele Widersprüche in ihm stecken.

So zitiert Hogefeld beflissen „Meine Genossinnen und Genossen aus der RAF“. Die Dunkelmänner, die nach Grams Tod ebenfalls ein Psychogramm ihres angeblichen Mitkämpfers fabriziert haben, rühmen »seine Skepsis gegenüber vorschnellen Entscheidungen, seine Geduld, etwas auch mehr als einmal zu hinterfragen, was von allen anderen Genauigkeit in der Auseinandersetzung gefordert hat und was nicht immer bequem war – damit hat er z. B. dafür gesorgt, alle Aspekte der Situation oder der eigenen Vorstellung anzusehen und nicht nur die Aspekte wahrzunehmen, die einen selbst bestätigen.«

Donnerwetter. Und wie konnte es einer von diesem Glanzlicht mitgetragenen „RAF“ dann passieren, ausgerechnet einen Mann wie Herrhausen umzubringen? Jemanden, der bereits die Forderungen der grünen Opposition im Bundestag und der Kritischen Aktionäre der Deutschen Bank vertrat?

Solche Annahmen können eigentlich nur auf einem Black Out beruhen – auf einem Black Out BRD.

Im Labor der Bundesanwaltschaft: Wie ein RAF-Phantom entsteht

Neue „RAF“ wird an den Haaren herbeigezogen/Behörde zeigt Nerven

So ärgerlich die substanzlose Geschichte mit der angeblichen „Neuen RAF“ auch ist – wir dürfen für diesen Fall trotzdem dankbar sein. Gibt er uns doch die einmalige Gelegenheit, einen Blick in das Labor der Bundesanwaltschaft zu tun und direkt mitzuverfolgen, wie ein neues RAF-Phantom entsteht.

Man nehme:

– irgendeinen Überfall, am besten Bank oder Geldtransport

– man behaupte: bei diesem Überfall wurden Spuren von bestimmten Personen gefunden

– man behaupte weiter, daß diese Personen Geld nicht nur so rauben, sondern damit bestimmt eine neue Terror-Gruppe gründen wollen

– man speise nun den ganzen Behauptungsbrei in die nationale Pressemaschine ein und würze ihn mit pseudoseriösen Hinweisen, daß dadurch aber noch nichts bewiesen sei – für den Fall, daß das Ganze später als der Käse entlarvt wird, der es ist. Machts nichts: gefressen wird das Futter auf jeden Fall, und sogar nachgewürzt wird es von den Kollegen. Plötzlich gibt es nicht nur einen angeblichen Verdächtigen für den Rohweddermord , nein, das Attentat ist sogar aufgeklärt.

Beweise? Fehlanzeige.

Wie gesagt, dürfen wir für diesen Vorgang dankbar sein, denn so und nicht anders ist bereits die sogenannte Dritte Generation der „RAF“ entstanden – als PR- und Medien-Operation der Bundesanwaltschaft. Über Taten mit einem ganz anderen Hintergrund stülpte sie ihre Behauptungsglocke und behinderte so auch ernsthafte Ermittlungen in die richtige Richtung.

Zum Detail:

Nicht nur am Rohwedder-Tatort, nach Zeitungsberichten sollen nun auch noch am Herrhausen-Tatort Haare gefunden worden sein. Das kann nur eins heißen: eine neue „RAF“ soll an den Haaren herbeigezogen werden.

Die neuen Erkenntnisse dürfen wir dem „Spiegel“ vom heutigen 21.5.01 entnehmen, und altbekannte Scharfmacher wie Rupert Scholz (Doktorvater von Peter Gauweiler) ermahnen nun zur „Wachsamkeit“. Die neuen Mitglieder der „RAF“ besäßen «unveränderte terroristische Militanz», warnte Scholz in der Berliner Zeitung «B.Z.»

Wir haben uns jahrelang mit den Unterlagen zu diesen beiden Tatorten beschäftigt; von Haaren war dort nie die Rede. Selbst das Bundeskriminalamt räumte am 21.5.01 gegenüber einem Redakteur der Talksendung „Maischberger“ ein, daß in seinen Verlautbarungen von einem Handtuch und Haaren am Rohwedder-Tatort noch nie die Rede war. Das ist merkwürdig, denn die restlichen Gegenstände am Tatort wurden genau beschrieben: Der Gartenstuhl, das Fernglas, die Patronenhülsen (redet eigentlich noch jemand von denen?). Bereits bezüglich wesentlich einfacher zu identifizierender Funde am Tatort haben sich die Ermittler schon unmittelbar nach dem Herrhausen-Attentat in Widersprüche verwickelt. Zum Beispiel konnten sie sich nicht einigen, ob sie den für eine Lichtschranke notwendigen Reflektor nun gefunden haben oder nicht. Zumindest am Herrhausen-Tatort kann es auch keine Haare gegeben haben, jedenfalls keine aussagekräftigen. Denn hier handelt es sich um eine relativ stark frequentierte Straße, durch die auch Busse fahren. Außerdem bewegen sich in diesem Bereich zahlreiche Schulkinder, Busfahrgäste und Besucher der Taunustherme, die wahrscheinlich alle zusammen dort täglich Hunderte von Haaren verlieren.

Es ist also ohnehin schon sehr schwierig, hier irgendwelche gefundenen Haare dem Tatort beziehungsweise Tatvorgang zuordnen zu wollen. Der Herrhausen-Tatort ist aber überdies ein ganz besonderer Tatort. Denn hier gab es eine enorme Explosionsdruckwelle – nämlich der Bombe, die Herrhausen tötete. Sie sorgte dafür, daß sich die nicht lange vor dem Attentat verstärkten Scheiben des in der Nähe befindlichen Hallenbades „Taunus-Therme“ erheblich durchbogen. Was hat sie erst mit irgendwelchen Haaren angestellt, die vielleicht im Bereich des Tatortes lagen?

Auf ähnliche Schwierigkeiten stößt man prinzipiell natürlich auch am Rohwedder-Tatort: Gärten, Gras, Wiesen, Wind und Wetter (1. April). Haare verflüchtigen sich dort schnell, können andererseits aber auch schnell dorthin verschleppt werden. Zwar hat man die Haare angeblich auf einem Handtuch gefunden. Dafür müßte aber erstmal zweifelsfrei geklärt werden, daß das Handtuch von den Tätern stammt und nicht schon lange da lag oder sogar dort platziert wurde.

Soweit die jüngsten Konstruktionen zum Thema „Dritte Generation“.

Der Verdachtsmoment in Sachen „Neue RAF“ ist ein Überfall auf einen Geldtransporter in Duisburg-Rheinhausen mit mehr als einer Million Mark Beute am 30. Juli 1999. Dabei konnten angeblich nicht näher beschriebene „Abriebspuren“ im Fluchtfahrzeug und Speichelreste in einem bei dem Raub verwendeten Motorradhelm mit Hilfe einer DNS-Analyse den beiden angeblichen „RAF“ Leuten Staub und Klette zugeordnet werden. Angeblich, wohlgemerkt, denn die Hilfsbehörde der Bundesanwaltschaft, das BKA, ist am letzten angeblichen „RAF“-Tatort durch massenhafte Manipulation von Beweismitteln aufgefallen: Bad Kleinen. Einer solchen Ermittlungsbehörde kann man natürlich kein Vertrauen mehr schenken. Das gilt auch für die oben genannten Fälle.

Die Spuren an Helm und Auto reichen für sich genommen jedoch ohnehin nicht: Vielleicht hatten die beiden die Utensilien nur verliehen, so wie unser Bundesaußenminister seinen VW-Bus, in dem immerhin Waffen transportiert wurden? Wenn solche „Beweise“ zwingend wären, dann gehörte es sich doch, daß der Generalbundesanwalt umgehend Herrn Fischer auf die Anklagebank setzt.

Man sieht: Wenn die Bundesanwaltschaft einen Verdacht äußerst, heißt das erstmal noch lange nichts. Und zwar auch und vor allem deshalb, weil ihre Verdachtskonstruktionen in der Vergangenheit am laufenden Meter in sich zusammenbrachen. Die angeblichen Top-RAF-Leute Christoph Seidler (früher als Herrhausen-Täter verdächtigt) und Barbara Meyer mußten sang- und klanglos auf freien Fuß gesetzt werden. Andrea Klump (früher ebenfalls HH-Verdächtige) konnte nicht einmal wegen Mitgliedschaft in dem Dunkelmann-Verein verurteilt werden. Schwer zu glauben, daß dann aber ihr in Wien erschossener Lebensgefährte Horst-Ludwig Meyer ein richtiger „RAF“-Mann gewesen sein soll – hatten sich die beiden etwa total auseinandergelebt?

Ausgerechnet die Bundesanwaltschaft, die in den wesentlichen Fragen in Sachen „RAF“ in den letzten 15 Jahren überhaupt keinen richtigen Verdacht mehr geäußert hat, will nun erzählen, sie hätte die Spur einer neuen „RAF“ entdeckt? Staub und Klette lassen sich jedoch schon mit dem Geldtransporter-Überfall, wenn überhaupt, dann nur locker in Verbindung bringen. Und woraus schließen die Ermittler, die es bei den „RAF“-Attentaten seit 1985 auf eine Aufklärungsquote von Null Prozent gebracht haben, daß ausgerechnet diese Täter nun eine neue „RAF“ aufmachen?

Es sei eine „lebensfremde Annahme“, daß sich Staub und Klette nun als „normale Schwerkriminelle ohne revolutionäres Ziel“ betätigten, meint die Sprecherin der Bundesanwaltschaft. Ist das alles? Indizien, Beweise? Null. Ganz im Gegenteil. Denn der Überfall ist bereits zwei Jahre her. Solange haben sich die beiden, sollten sie es überhaupt gewesen sein, schon als normale Schwerkriminelle betätigt. Für einen Zeitraum von zwei Jahren ist die Behörde also bereits widerlegt.

Solche und ähnliche wilde Behauptungen führen dazu, daß nun selbst treue Anhänger des bundesanwaltlichen Thesen von einem RAF-Phantom von der Bundesanwaltschaft abfallen. „Wenn etwas lebensfremd ist“, so die taz, „dann diese Behauptung der Bundesanwaltschaft.“ Bereits eineinhalb Jahre ist es her, daß die Behörde mit Hilfe des BKA angeblich Spuren vom Tatort des Geldtransportüberfalls als die von Volker Staub identifizierte. Seither ist aber nichts an neuen „Erkenntnissen“ hinzugekommen. Woran liegt es also, daß die Bundesanwaltschaft JETZT eine neue „RAF-Generation“ aufmacht – mit null Beweisen?

Die Behörde ist verzweifelt. Fortgesetztes Versagen seit mindestens 15 Jahren, Druck von allen Seiten, die Anschläge endlich aufzuklären, zerren an den Nerven. Der Erklärungsdruck macht dem Generalbundesanwalt zu schaffen. Er muß irgendetwas präsentieren. Nach dem offiziellen Ende der „RAF“ vor wenigen Jahren hat die Ermittlungsbehörde nun die nackte Existenzangst gepackt.

Das allzu durchschaubare Manöver mit dem angeblichen Grams-Haar, mit dem die Verantwortung für die Anschläge der dritten Generation auf einen Toten geschoben werden soll, reicht zudem nicht mehr aus beziehungsweise hat den Druck noch verstärkt. Deshalb wird nun auf völlige Phantome wie Staub und Klette zurückgegriffen. Den toten Grams hat man immerhin schon mal physisch wahrnehmen können, Staub und Klette geistern immer nur durch die Verdachtskonstruktionen von BAW und BKA, sollen allenfalls mal schemenhaft auf irgendwelchen Fotos aufgetaucht sein.

Beachtlich übrigens, wie die Bundesanwaltschaft einmal mehr ihren eigenen Irrtum als Erkenntnis verkauft. Wenn es nämlich stimmen würde, daß sich die „RAF“ nur kurze Zeit nach ihrer Selbstauflösung wieder formiert hätte, wäre das die endgültige Bankrotterklärung für BAW, BKA und Verfassungsschutz. Schließlich haben diese Behörden das „Auflösungspapier“ der Dunkelmänner als DIE Abschlußerklärung der „RAF“ verkauft und das Kapitel „RAF“ in der Bundesrepublik damit offiziell abgeschlossen. April, April?

„Es bleibt der Verdacht“, schreibt die taz, „dass hinter den letzten RAF-Meldungen die Furcht der Ermittler steht, sie könnten als erfolglos und überflüssig erscheinen.“

 

Grams bei den Rechten?

Vergangenheit des Vorzeige-RAF-Manns wird immer dubioser

Der 27. Juni 1993 wird vielen Menschen in Erinnerung bleiben. An diesem Tag kam es zu einer denkwürdigen Schießerei auf dem Bahnhof von Bad Kleinen in Mecklenburg- Vorpommern, bei der zwei Menschen getötet wurden: Der angebliche Terrorist Wolfgang Grams und der GSG 9-Mann Michael Newrzella.

Auch das Ehepaar Knut und Ursel Müller staunte möglicherweise nicht schlecht. Knut und Ursel Müller werden zur Prominenz der rechtsradikalen Szene gezählt. Ursel Müller ist seit 1991 Vorsitzende der Hilfsorganisation Nationaler Gefangener (HNG), die sich um aus ihrer Sicht politische Gefangene aus der rechten Szene kümmert.

Hier ein Zitat aus dem „web gegen rechts“ (http://www.parlament-berlin.de/wgr/first.html): „Die 1979 gegründete HNG hatte 1998 450 Mitglieder. Im letzten Jahr konnte sie ihre Mitgliederzahl noch weiter erhöhen. Sie veröffentlicht monatlich die mit einer Auflage von 600 Stück erscheinenden Nachrichten der HNG. Vorsitzende ist seit 1991 Ursula Müller. Der HNG gehören fast alle führenden Köpfe der rechtsextremistischen Szene an. Die HNG vermittelt Anwälte für rechte politische Gefangene und auch finanzielle Hilfen für deren Angehörige. Desweiteren betreut sie Gefangene, die in der Regel nach der Haftentlassung der Organisation beitreten.“

Knut und Ursel Müller staunten deshalb wahrscheinlich nicht schlecht, weil ihnen eine der beiden Leichen vom 27. Juni 1993 bekannt vorkam. Bisher dachten sie allerdings, dieser Mensch sei einer von ihnen gewesen: Wolfgang Grams. „Laut Kamerad Kurt Müller hatte Grams gerne und mit Interesse an den regelmäßigen Kameradschaftsabenden bei den Müllers in Mainz teilgenommen“, schreibt die rechte Zeitschrift „Zentralorgan“ (4/98). Dasselbe Blatt veröffentlichte ein Interview mit Frau Müller.

Danach kam Wolfgang Grams „an einem Dienstag zu unseren wöchentlichen Treffs, wann das genau war, weiß ich heute nicht mehr, jedenfalls vor seiner ‚RAF‘-Zeit.“ Er habe reges Interesse an den politischen Aktivitäten der Rechten gezeigt, sich aber nicht aktiv beteiligt.

Besonders in Erinnerung geblieben ist Frau Müller, daß Grams die Gruppe „immer zu Gewalttaten aufforderte und drängte.“ Der Kontakt mit ihm habe geendet, „weil wir uns mit seinen Gewaltideen nicht identifizieren konnten, jedenfalls nicht in der Tat.“

Ob Grams ein Antifa-Spitzel oder ein Verfassungsschutz-Spitzel gewesen sei, wisse sie nicht, sagt Frau Müller weiter.

Die Frage ist, ob ein Mann wie Grams wirklich zum Vorzeige-RAF-Mann der Bundesanwaltschaft taugt: Was trieb Wolfgang Grams bei den Rechten? Stachelte er sie wirklich zu Gewalttaten an und warum? Ging es ihm nur um Gewalt, und um sonst gar nichts?

Wie kann ein Mann mit einer solchen ambivalenten politischen Identität die Energie aufbringen, in der Bundesrepublik „anspruchsvollste“ linksterorristische Attentate zu begehen? Attentate, hinter denen, sollten sie wirklich politischen Einstellungen entsprungen sein, zweifellos eine enorme politische Motivation stecken muß.

Immer vorausgesetzt, die Schilderungen von Frau Müller stimmen: Dann würde Wolfgang Grams‘ Verhalten sehr viel besser zu einem vielseitig verwendbaren V-Mann und Provokateur irgendeines Verfassungsschutzamtes passen, als zu einer authentischen politischen Gruppierung. Eindringen in politische Gruppen und „Initiativeinbringung“ zur Begehung von Anschlägen gehören zum typischen Verhalten solcher V-Leute.

Interessanterweise wimmelt es ja im Bereich der angeblichen „RAF“ nur so vor lauter V-Leuten:

Der V-Mann Siegfried Nonne behauptete Anfang der 90er Jahre, die angeblichen Herrhausen-Attentäter Christoph Seidler und Andrea Klump bei sich beherbergt zu haben. Nonne widerrief diese Aussage alsbald vor den laufenden Kameras eines WDR-Fernsehteams (bestehend aus den Autoren des „RAF-Phantoms“ plus der Fernsehautorin Monika Wagener) und behauptete, der Verfassungsschutz habe ihn zu der Aussage erpreßt. Christoph Seidler stellte sich später und wurde umgehend auf freien Fuß gesetzt. Andrea Klump konnte wegen keines einzigen „RAF“-Anschlages verurteilt werden.

Der V-Mann Klaus Steinmetz schaffte es angeblich, in den „Kern“ der „RAF“ vorzudringen und am 27. Juni 1993 die angeblichen Terroristen Wolfgang Grams und Brigit Hogefeld ans Messer zu liefern. Steinmetz‘ Karriere begann nicht etwa als Superermittler, sondern als Kleinkrimineller mit einem Hang zu Autohauseinbrüchen. Einer dieser Einbrüche wurde von den Behörden so sorgfältig dokumentiert, daß sich Steinmetz möglicherweise etwas leichter zu einer Zusammenarbeit mit den Behörden entschließen konnte.

(Das sind nur die wichtigsten Beispiele für V-Leute im Terrorismus-Bereich. Weitere finden sich im „RAF-Phantom“.)

War dann Bad Kleinen vielleicht bloß ein Treffen unter V-Männern und vielleicht sogar V-Frauen (denn schließlich fragt sich ja, ob seine „Geliebte“ Hogefeld ähnlichen Aktivitäten nachging wie Grams), aus dem die Behörden dann die Festnahme der „RAF-Kommandoebene“ inszenierten?

Gut möglich. Vielleicht aber auch nicht.

Fest steht nur, daß, wenn die Schilderungen über Grams‘ Vergangenheit stimmen, sich die Bundesanwaltschaft einen neuen Kronzeugen für die Existenz der furchtbaren „Dritten RAF-Generation“ suchen muß.

 

Bei Herrn Leyendecker klingelts nicht

SZ-Chefenthüller tappt bei RAF-Spurensuche im Dunkeln

Eine Spurensuche in Sachen „RAF“ sollte es werden, und das Publikum durfte gespannt sein, was der Chefenthüller („Spendenaffäre“) der Süddeutschen Zeitung im SZ-Magazin vom 11.5.2001 wohl an Erkenntnissen zu bieten haben würde über jene geheimnisvollen Mörder, die seit 1984 unerkannt unter dem Label „RAF“ morden. Zunächst mal fällt das geradezu liebevolle Verständnis auf, das der angebliche Enthüller für die auf der ganzen Linie gescheiterten Fahnder aufbringt. Wer mit Amokläufern um die Wette renne, könne noch so tüchtig sein, am Ende müsse er doch „wegen Seitenstechens aufgeben“, meint er.

Arme Kerle, diese Fahnder. Aber logisch ist das nicht. Denn Amokläufer veranstalten zwar alles Mögliche, aber daß sie besonders schnell rennen können, ist bisher noch nicht nachgewiesen worden. Leider geht es in der Argumentation von Herrn Leyendecker, der hier einen auffällig engen Schulterschluß mit dem BKA demonstriert, ähnlich schief weiter. Für einen angeblich unabhängigen Journalisten lobt Leyendecker die Beamten vom Bundeskriminalamt auf peinliche Weise in den höchsten Tönen: „Seit anderthalb Jahrzehnten mühen sich Dutzende der besten Kriminalisten, der versiertesten Staatsschützer, der gewieftesten Zielfahner, die dritte Generation der Rote Armee Fraktion (RAF) zu fassen, doch die Jagd nach den Killern führte ins Nichts.“

Genau hier müßte es eigentlich bei einem zünftigen Enthüller klingeln: Was ist da los? Woher diese auffällige Unfähigkeit bei den Behörden? Schließlich wurde beispielsweise das „Superhirn“ Thomas Drach, Entführer von Jan Philipp Reemtsma, bereits nach zwei Jahren gefaßt. Seine Spur hatte das BKA sogar noch wesentlich früher aufgenommen. Daß er sich in einem völlig anderen Teil der Welt verkroch, nützte ihm gar nichts. Und woran liegt das? Eben daran, daß solche Verbrechen nicht im luftleeren Raum verübt werden können: weder Entführungen noch Morde. Es gibt immer Spuren, Zeugen, Komplizen und Helfershelfer, mit deren Hilfe man schließlich auf die Fährte des Täters kommen kann – wenn man will. Von den Mördern von Siemens-Vorstand Karl Heinz Beckurts (ermordet 1986) und anderen will das BKA jedoch seit 15 Jahren nicht die leiseste Spur zu Gesicht bekommen haben. Doch bei Herrn Leyendecker klingelt gar nichts. Statt dessen sollen wir glauben, daß es irgendjemandem hierzulande gelingt, ein knappes halbes Dutzend höchster Repräsentanten des Staates und der Wirtschaft zu ermorden, ohne daß es auch nur die leiseste Hoffnung gibt, ihn zu fassen. Das perfekte Verbrechen, und zwar gleich mehrfach?

Kein Wunder, daß hier Zweifel aufkamen, ob die „RAF“ diese Morde überhaupt wirklich verübt hat – jedenfalls bei anderen Journalisten kamen diese Zweifel auf. Zumal fast alle auf den Fahndungsplakaten als Mitglieder der dritten Generation Gesuchten inwischen wieder aufgetaucht sind und die Beschuldigungen gegen sie in sich zusammenbrachen.

Es ist noch nicht lange her, da ließ der Generalbundesanwalt die Fahndungsplakate abhängen. Seither wurden die alten Gesichter nicht durch neue ersetzt. Totale Kapitulation. Für einen Journalisten eigentlich ein Alarmzeichen. Doch Herrn Leyendecker scheint nur eins wichtig zu sein: Daß es die „RAF“ gewesen sein soll. Daran klammern sich die angeblich so unwissenden Fahnder fest und Leyendecker hilft ihnen dabei: „Dass hinter den Morden, trotz allem Geraune (das Geraune ist 465 Seiten stark und heißt „Das RAF-Phantom“ – das nur nebenbei; G.W.), die RAF steckte, haben die Täter in ihren Bekennerschreiben mit der Sorgfalt deutscher Notare selbst beurkundet.“

Da darf man gespannt sein – deutsche Notare gelten schließlich als besonders gewissenhaft. Sie prüfen Identitäten sorgfältig und erkennen Unterschriften nur nach Vorlage eines Lichtbildausweises an. In Sachen „RAF“ bietet Leyendecker folgende „Beweise“ für die Identität der Täter an:

– Sie frankierten ihre Post immer mit Briefmarken, die Frauenmotive zeigten

– bei den fiktiven Absenderangaben war der Vorname stets abgekürzt

– die Tarnadresse hatte grundsätzlich mit Bäumen zu tun

– bei allen „Erklärungen“ seit 1986 wurde nur Papier mit dem Wasserzeichen „Römerturm Klanghart“ verwendet

Vorausgesetzt, das alles würde stimmen: hätte jemand mit diesen Merkmalen eine Chance, vor einem Notar einen Identitätsbeweis anzutreten? Natürlich nicht. Hätte irgendjemand anhand dieser „Beweise“ eine Anklage zu vertreten, würden sich Gericht und Verteidigung kaputt lachen. Nur spaßeshalber habe ich einmal eine Druckerei nach diesem Wasserzeichen gefragt. Es wurde mir versichert, daß es „bei jedem Druckbetrieb“ erhältlich ist.

Aber da war doch noch der sagenhafte „RAF“-Stern? Fehlanzeige: Selbst Leyendecker räumt ein, daß die angebliche „RAF“ gleich zwei davon verwendete:

– entweder ein roter, fünfzackiger Stern mit den weißen Großbuchstaben RAF auf schwarzer Maschinenpistole

oder

– ein rot umrandeter weißer, fünfzackiger Stern mit den weißen RAF-Lettern auf dem Hintergrund einer roten Maschinenpistole.

Zwei Unterschriften also? Herr Notar, übernehmen Sie!

Bei all diesen Ausführungen ist überdies besonders interessant, was Herr Leyendecker unterschlägt. Zum Beispiel,

– daß eine „Erklärung“ noch kein Bekennerbrief ist. Bei den „RAF“-Erklärungen handelt es sich vielmehr um von Anschlägen losgelöste politische Pamphlete. Wobei auch hier das Wasserzeichen,wenn es denn vorhanden sein sollte, natürlich gar nichts beweist

– daß die Bekennerbriefe selbst zum Teil nur als Fotokopie bei den Behörden eingingen – wo bleibt da das Wasserzeichen?

– daß auch der „RAF“-Stern dann nur als Fotokopie vorliegt, wie sie jeder anfertigen kann, der irgendwo in einer Zeitschrift einen RAF-Stern sieht, ausschneidet, aufklebt und fotokopiert. Wie die Täter im Fall Beckurts. Dort sieht man deutlich neben dem Stern einen Fotokopie-Schatten, wie er entsteht, wenn etwas ausgeschnitten, aufgeklebt und fotokopiert wird.

Aber selbst WENN die Täter immer dieselben, eindeutig identifizierbaren Markenzeichen verwendet hätten, – was nachweislich nicht stimmt -, und selbst wenn diese Markenzeichen eine authentische Aussagekraft hätten – was nachweislich ebenfalls nicht stimmt: Könnte man dann von einer Identifizierung der „RAF“ sprechen?

Nein. Man könnte höchstens davon sprechen, daß die Täter jeweils identisch waren, daß die Taten also immer von denselben Tätern begangen wurden. Der Identität der Täter oder der Gruppe, der sie angehören, ist man damit keinen Schritt näher gekommen. Leute wie Andreas Baader oder Susanne Albrecht (verurteilt wegen des Attentates auf den Dresdner-Bank-Mann Jürgen Ponto) wußten das noch. Sie haben deshalb Papiere mit ihrem Fingerabdruck bzw. mit einer handschriftlichen Unterschrift autorisiert.

Überdies ist das ein wichtiger Bruch in Leyendeckers Argumentation: Man kann nicht behaupten, daß die Fahnder gar nichts wüßten und dann so tun, als wüßten sie aber genau, daß die „RAF“ der Täter war. Entweder kann man Spuren verfolgen oder nicht. Entweder kann man ermitteln oder nicht.

Das peinlichste Kapitel in Leyendeckers Traktat kommt am Schluß: Spaltenweise widmet er sich einer kriminalistischen Nullnummer, nämlich der „forensischen Textanalyse“, die behauptet, der Identität von Tätern anhand der Ausdrucksweise näherkommen zu können. Das ist längst als Scharlatanerie entlarvt. Unvergessen ist beispielsweise der Textgutachter, der einen Angeklagten anhand der falsch geschriebenen Abkürzung für „zum Beispiel“, nämlich „z.b.“, als Autor eines Bekennerbriefes überführen wollte. Leider war dem Gutachter nicht aufgefallen, daß er diesen Schreibfehler in seiner eigenen Expertise ebenfalls gemacht hatte.

Wer mit Scharlatanerie argumentiert, sollte vielleicht etwas zurückhaltender sein, anstatt die Arbeit von anderen Journalisten als „Unsinn“ abzuqualifizieren. Warum ein so renommierter Journalist seinen guten Ruf mit einem solch substanzlosen Elaborat zur Verteidigung der deutschen Sicherheitsbehörden beschädigt, wissen wir nicht. Die Autoren des Buches „Das RAF-Phantom“ haben Herrn Leyendecker schon vor Jahren ausdrücklich zum Meinungsaustausch eingeladen – ein Angebot, auf das er bis Heute aus unbekannten Gründen nicht eingegangen ist.

 

Ein Haar in der Ermittlersuppe
Bundeskriminalamt findet angeblich Haar von Grams an Rohwedder-Tatort

Am 1. April 1991 starb Treuhand-Chef Detlev-Karsten Rohwedder durch den präzisen Schuß eines Scharfschützen. Aufgrund eines mit „RAF“ signierten „Bekennerschreibens“ stand für die Behörden die Täterschaft der linken Terrorgruppe fest. Der Haken an der Sache: die angeblichen Bekennerschreiben sind kein Beweis für eine Täterschaft, weil sie keine kriminalistisch verwertbaren Merkmale tragen, die einer bestimmten Tätergruppe zugeordnet werden könnten. Siehe dazu ausführlich „Das RAF-Phantom“.

Verdächtig ist desweiteren, daß während kriminelle „Superhirne“ wie der Reemtsma-Entführer Thomas Drach bereits nach zwei Jahren verhaftet werden konnten, zehn Jahre lang angeblich auch nie die leiseste Spur zu dem Mörder von Detlev Karsten Rohwedder führte. Noch länger tappen die Behörden im Dunkeln bei den angeblichen „RAF“-Opfern Karl Heinz Beckurts (1986), Gerold von Braunmühl (1986) und Alfred Herrhausen (1989). Für Morde ist das ganz untypisch. Normalerweise beträgt die Aufklärungsquote von erkannten Morden 95 Prozent, und zwar deshalb, weil es sich bei Morden um sogenannte „Beziehungstaten“ handelt. Nur aus einer starken privaten und/oder geschäftlichen Beziehung heraus erwachsen die mächtigen Motive, die zu einem Mord führen können.

Die „RAF“-Theorie soll die Öffentlichkeit glauben machen, daß es sich hier NICHT um Beziehungstaten handelt, sondern daß sich Terroristen ihre Opfer, mit denen sie sonst nichts zu tun haben, nach irgendwelchen politischen Überlegungen heraussuchen. Das ist jedoch nur eine Cover-Story. In Wirklichkeit stecken auch hinter den „RAF“-Morden mächtige Beziehungsmotive, wahrscheinlich geschäftlicher Natur.

In jedem Fall stehen die Behörden nunmehr seit zehn bis 15 Jahren unter erheblichem Druck zu erklären, warum sie Entführer wie Thomas Drach fassen können, die Mörder höchster Repräsentanten des Staates und der Wirtschaft aber nicht. Die zunächst als „Dritte Generation“ der „RAF“ Verdächtigten brachen einer nach dem anderen weg: Christoph Seidler (zunächst für das Herrhausen-Attentat verantwortlich gemacht) mußte freigelassen werden, ebenso Barbara Meyer. Andrea Klump (ebenfalls in Sachen Herrhausen verdächtigt) konnte ebenfalls nicht für ein „RAF“-Attentat verurteilt werden. Vor nicht allzu langer Zeit mußte der Generalbundesanwalt sogar die Fahndungsplakate abhängen, der Verfassungsschutz räumte die Möglichkeit ein, daß überhaupt keiner der auf den Fahndungplaketen Gesuchten jemals der „RAF“ angehört hat.

Das verstärkt den Erklärungsdruck natürlich erheblich: Wer hat die Attentate denn nun begangen?

In dieser Situation soll den Behörden offensichtlich ein Haar aus der Klemme helfen. Gefunden wurde es angeblich auf einem Handtuch am Rohwedder-Tatort. Das BKA will nun eine moderne Methode entwickelt haben, mit der sich dieses Haar Wolfgang Grams zuordnen lassen soll.

Dazu ist festzustellen:

– Das angebliche Handtuch taucht aus dem Nichts auf. Bisher war noch nie davon die Rede, daß am Rohwedder-Tatort ein Handtuch gefunden worden sein soll.
– Warum sollten so professionelle Täter, die mit Sicherheit in der Lage waren, ihre Spuren an einem Tatort zu kontrollieren, eine solche wichtige Spur hinterlassen?
– Das BKA hat sich nach Aussagen von Experten in der Genanalyse von Haaren bisher noch nie besonders hervorgetan – nun soll es plötzlich die Speerspitze der Forschung bilden?
– Das Haar beweist für sich genommen gar nichts, weil es sich nur um eine indirekte Spur handelt. Eine direkte Spur wäre beispielsweise ein Fingerabdruck an einem fest am Tatort verankerten Gegenstand (z.B. Türklinke). Das Haar kann irgendwie an den Tatort gekommen sein.
– Selbst die Bundesanwaltschaft will Grams auf dieser Grundlage nicht als Tatverdächtigen, ja nicht einmal als Tatbeteiligten einstufen.
– Dieser angebliche Beweis, wofür auch immer, muß weder einem Gerichtsverfahren noch der Überprüfung durch einen Verteidiger standhalten, da Wolfgang Grams seit 1993 tot ist.
– Es fällt doch sehr auf, daß nun ausgerechnet einer der wenigen Toten der vermeintlichen dritten „RAF-Generation“, der sich nicht mehr wehren kann, als Täter für die offensichtlich unaufklärbaren Attentate infrage kommen soll.

Die Frage ist doch, ob die Bundesanwaltschaft irgendwann ein lebendes RAF-Mitglied wird vorweisen können, das eines der Attentate begangen hat.

 

Fernsehfilm über das Herrhausen-Attentat gewinnt Grimme-Preis

Brisanter Pro 7-Fernsehfilm “Das Phantom” wird gleich mehrfach ausgezeichnet/Sind Polit-Thriller im Kommen?

Pressemitteilung

Nach dem 3sat-Zuschauerpreis im November 2000 wird der Fernsehfilm „Das Phantom“ erneut prämiert. Der erst 27-jährige Regisseur Dennis Gansel und Hauptdarsteller Jürgen Vogel erhalten nun den Adolf Grimme Preis. Auch der Publikumspreis der „Marler Gruppe“ geht an „Das Phantom“: als „Gesamtwerk unter besonderer Berücksichtigung der hervorragenden schauspielerischen Leistungen von Jürgen Vogel und Nadeshda Brennicke“.

Der Film beruht auf dem Knaur-Sachbuch „Das RAF-Phantom“. Darin wird die These entwickelt, die sogenannte „dritte Generation“ der „RAF“ sei ein Konstrukt von Dunkelmännern aus Wirtschaftskreisen und Geheimdiensten.

„Für mich ist die Erfolgsgeschichte des Films der Beweis, daß politische Thriller in Deutschland nicht nur eine Chance haben, sondern dankbar aufgenommen werden“, sagte einer der drei Autoren des Buches „Das RAF-Phantom“, Gerhard Wisnewski, in München. “Überdies sind sie zur Aufarbeitung dunkler Punkte bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte auch nötig.”

Dies ist der Erzählkern des Films: Bei einer Routineobservation wird der Kollege des Polizeibeamten Leo Kramer (Jürgen Vogel), Pit Roth (Hilmi Sözer) erschossen. Als Leo Kramer selbst in Verdacht gerät, in den Mord verwickelt zu sein, entwickelt sich eine dramatische Geschichte von Flucht, Verdacht und Verzweiflung. Leo hat nur eine einzige Chance: selbst aufzudecken, was hinter dem Mord an seinem Freund steckt. Dabei gerät er auf die Spur einer Verschwörung, die seit Jahren die dritte Generation der „RAF“ steuert und benutzt, um unliebsame Persönlichkeiten aus dem Weg zu räumen. Prominentestes Opfer ist im Film der fiktive Finanzminister Hausmann, der der Dritten Welt einen Teil ihrer Schulden erlassen will.

Damit spielt “Das Phantom” auf eine zentrale Recherche aus dem Buch “Das RAF-Phantom” an: das Attentat auf Deutsche-Bank-Vorstand Alfred Herrhausen im November 1989, der sich für einen Schuldenerlaß gegenüber den ärmeren Ländern stark machte.

„Mit dem Film ist es gelungen, die Hauptthese des Buches optimal zu verdichten und aufzubereiten“, lobt „RAF-Phantom“-Autor Wisnewski. Im Namen seiner beiden Mitautoren Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker gratulierte er der Becker&Häberle Filmproduktion zu diesem Erfolg.

“Allerdings muß man die Preisträger auch ein wenig vor der wohlwollenden Umarmung der Grimme-Jury in Schutz nehmen”, sagte Wisnewski. Diese habe nämlich behauptet, Regisseur Gansel (der in der Begründung der Jury als “Werbefilmer” vorgestellt werde) gehe es gar nicht um Gesellschaftskritik: “Die düstere Ahnung, dass dieser Staat im Innersten korrupt ist und in seiner Allmachtsphantasie sogar über Leichen geht„, sei, so die Grimme-Jury, „keine politische Anklage mehr„, sondern bloß „Ausgangspunkt einer spannenden Krimistory„.

„Der Versuch, diesen Film zu entpolitisieren, ist eher peinlich und muß scheitern“, meinte dazu „RAF-Phantom„-Autor Wisnewski: „Da war die Jury der Marler Gruppe schon couragierter“. „Mutig und realistisch“ fand sie „die von den Autoren aufgeworfene Frage: Spielten bei dem Attentat auf Finanzminister Hausmann im Jahre 1990 Machtmissbrauch, Korruption und Intrigen seitens der Regierung tatsächlich eine Rolle?“

Die Preisverleihung findet am Freitag, 23. März 2001, in Marl statt.

Weitere Infos:
www.raf-phantom.de
www.das-phantom.de